Bevor es an meiner Haustür klingelte hörte ich schon von Weitem, was auf mich zukam. Zuerst leise, wie hin geweht, dann fordernder und lauter, je näher die Schar heranrückte.

„Süßes, sonst gibt`s Saures.“

Eigentlich bin ich kein notorischer Nörgler und war auch weit davon entfernt, mich von einem Kinderreim unter Druck setzen zu lassen. Aber ein wenig verstimmt war ich doch.

Nicht, dass ich kein Verständnis für Kinderstreiche hätte. Als Kind habe ich mir teils haarsträubende Dinge geleistet. Etliche Lehrer, unser Förster und andere unbeliebte Zeitgenossen konnten ein Lied davon singen. Aber mir eine Zuwendung zu erpressen, darauf wäre ich nie gekommen.

Man kann zum Christentum und seinen Bräuchen stehen wie man will, aber die Botschaft dahinter ist zumeist tröstlich oder zumindest erwärmend. Wobei ich natürlich solche unschönen Dinge wie Inquisition, Hexenverfolgung, Kindesmisshandlung und Bekehrungswut außen vorlasse.

St. Martin, das Kinder- und Lichterfest, das fast gleichzeitig mit Halloween gefeiert wird, hat eine ganz andere Botschaft. Da geht es um eine milde Gabe, die einem armen Menschen das Leben rettet. Es gibt keine gruselige Inszenierung mit heulenden Horrorgestalten, sondern einen Zug erwartungsfroher Kinder, die singend hinter einem römisch gewandeten Reiter mit ihren bunten Laternen durch die Straßen ziehen. Früher mehr und reichhaltiger als heute, endete die Veranstaltung mit dem Austeilen von Tüten, in denen sich Leckereien und kleine Überraschungen verbargen. Dazu gab es dann noch einen süßen Weckmann mit Rosinen und weißer Tonpfeife im Mund.

Die älteren Kinder, die nicht mehr bedacht wurden, zogen dann von Haus zu Haus, klingelten und stimmten eines der Lieder zu Ehren des Heiligen an, worauf auch sie mit Süßigkeiten oder etwas Kleingeld bedacht wurden.

Man musste im Vergleich zu heutigen Halloweenbräuchen jedenfalls keine Angst haben, im Falle der Verweigerung oder einer Nichtanwesenheit mit Farbschmierereien oder Schlimmeren sanktioniert zu werden. Also machte auch ich dann gute Miene zum (bösen) Spiel, ´ließ den Klamauk über mich ergehen und kaufte mich mit einigen am Vortag erworbenen Süßigkeiten frei. Mein ganz persönlicher Tribut an neue Sitten und Gebräuche.

Vielleicht stelle ich mich aber dieses Jahr wieder einmal an die Straße und schaue dem bunten und fröhlichen Treiben von St. Martin und seiner zugegeben geschrumpften Kinderschar zu. Einige Süßigkeiten habe ich jedenfalls noch übrig, um sie später herauszugeben.