Der Fliegerhorst Venlo

Nachtjäger gegen alliierte Bomberflotten oder ein Lost Place der besonderen Art an der deutsch-niederländischen Grenze

Tor 9 – der östliche Hauptzugang zum ehemaligen Flughafen

Autor: Michael Kuhn

Versteckt im Wald befindet sich der größte ehemalige Nachtjägerflughafen beiderseits der niederländisch-deutschen Grenze bei Venlo. Die überwucherten  Ruinen von Hangars, Mannschaftsbaracken, Bunkern und Rollbahnen erzählen eine wenig bekannte Geschichte aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs.


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Wo heute Wanderer und Radfahrer auf schattigen Waldwegen nach Erholung suchen, dröhnten vor 80 Jahren die Motoren auf den Start- und Landebahnen des größten Nachtjägerflughafens Europas.

Die Heerstraße – einstige, teilweise begrünte Rollbahn

Die Ausnahmestellung des idyllischen Areals auf dem Gebiet des heutigen Naturparks Maas-Schwalm-Nette begann jedoch schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als in der „Groote Heide“ östlich von Venlo ein Truppenübungsplatz eingerichtet wurde. Im Jahre 1913 wurde dann auf niederländischer Seite ein erster Hilfslandeplatz für Flugzeuge angelegt, dem jedoch wegen der direkten Grenznähe nur eine geringe militärische Bedeutung zufiel.

Dies änderte sich mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht im Mai 1940. Im Herbst des gleichen Jahres wurde die deutsche Luftverteidigung in den Niederlanden für die im Aufbau befindlichen Nachtjägerverbände organisiert, deren vordringliche Aufgabe in der Abwehr alliierter Bomber liegen sollte. Ab dem März 1941 verteidigten die Nachtjäger aus der Venloer Heide einen Abschnitt der sogenannter „Kammhuber-Linie“, einem Gürtel von Flakstellungen und Nachtjägerflughäfen. Nach der Aufrüstung durch Radartechnik stiegen die Abschusszahlen ab Anfang 1942 steil an. Mit Beginn der alliierten Luftoffensive mit Bombenangriffen auf das Ruhrgebiet kam 1943 der neu entwickelte Nachtjäger Heinkel He 219 in der Venloer Heide erstmalig zum Einsatz. Einer Erweiterung des Flughafens im gleichen Jahr folgten im Februar 1944 die ersten verlustreichen Tagesangriffe auf die angreifenden Bomberflotten. Die US Air Force flog am 25. Februar 1944 den ersten Großangriff auf die Venloer Heide. Das Ende kam mit dem alliierten Luftlandeunternehmen „Market Garden“ im September 1944. Beim deutschen Rückzug wurden im Herbst/Winter 1944 die Einheiten in die Nähe von Münster und nach Eschwege verlegt und die meisten Anlagen gesprengt. Mit der Befreiung Venlos durch die Alliierten im März 1945 wurde der Flugplatz in Teilen für die US Air Force wieder instandgesetzt und mit einigen Staffeln belegt. Endgültig verlassen wurde der Flugplatz im September 1945. In der Folge nutzt der Venloer Segelflugverein Teile des Areals auf der niederländischen Seite.

Bis zu 100 Flugzeuge waren während des Zweiten Weltkrieges auf dem Venloer Fliegerhorst gleichzeitig stationiert, darunter neben den altbekannten Jagdmaschinen auch die ersten Düsenflieger mit Strahlantrieb (Me 163) sowie Transport- und Aufklärungsmaschinen (Junkers und „Fieseler Störche“). Bei einem Verlust von mehr als hundert Flugzeugen (170 Tote und Verwundete) verzeichnen die Annalen des Fliegerhorstes 585 abgeschossene alliierte Bomber und Jäger mit 2500 Toten und Gefangenen.

Der frühere Flughafen erstreckt sich über 1800 ha zu beiden Seiten der Grenze auf dem Gebiet der Städte Venlo (NL), Nettetal-Leuth (D) und Straelen-Herongen (D). Rund 15.000 zumeist niederländische Bauarbeiter und nach heutiger Währung etwa 335 Millionen Euro (zu Lasten der Niederlande) waren nötig, um die Anlagen in relativ kurzer Zeit fertigzustellen.

Zufahrt mit ehemaligem Kontrollposten

Drei Landebahnen (1200 m bis 1450 m) und 48 km Straßen durchzogen das weitläufige Gelände. In der größten Ausbauphase verteilten sich eine Werfthalle, 99 Flugzeughallen (20 beheizte und 42 unbeheizte Rundbogenhallen sowie 37 weitere Backsteinhallen), Verwaltungs- und Unterbringungsbauten, Bunker, Flakstellungen, und ein Flugleitturm auf der niederländischen Seite über das weitläufige Gelände. Überreste sind an vielen Stellen von Bäumen und Gebüsch überwuchert, weshalb sie vor allem in der grünen Jahreszeit trotz ihres zum Teil noch guten Erhaltungszustandes nur schwer auszumachen sind.

Ein gut erhaltener Rundbogenhangar. Es fehlt die Dacheindeckung aus Betonplatten.

Hangar oder Mannschaftsbaracke aus Backsteinen

Überreste von Rundbogenhangars

Zum Betrieb der Anlagen wurden mehr als 2000 Menschen benötigt, darunter 350 Niederländer und ca. 1800 Deutsche. Hinzu kamen ab August 1943 zuerst 200 und später bis zu 700 jüdische Häftlinge aus dem niederländischen Konzentrationslager Vught, die später durch 200 nichtjüdische Häftlinge ersetzt wurden. Nach der Auflassung des Außenlagers im September 1944 wurden die Insassen unter menschenunwürdigen Bedingungen nach Sachsenhausen transportiert und kurz vor Kriegsende auf Todesmärschen in Richtung Schwerin getrieben, was nur die wenigstens überlebt haben.

Gedenktafel für die Opfer der Anlage

Nach dem Krieg dienten die damaligen Anlagen unterschiedlichen Zwecken. Während ein Teil als britischer Truppenübungsplatz genutzt wurde, verwendete die Bundeswehr einige Areale als Depot. Die Start- und Landebahnen auf niederländischer Seite dienen bis heute dem Betrieb eines Segelflugplatzes. Die meisten Areale des ehemaligen Flughafens sind heute frei begehbar und können zur Freizeitgestaltung wie Wanderungen etc. genutzt werden.

Überwuchert aber nicht vergessen

Dass dies möglich ist, verdanken wir auch dem „Förderverein Ehemaliger Fliegerhorst Venlo e.V.“. Die Initiative gründete sich mit dem Ziel, die historischen Bau- und Bodendenkmäler des ehemaligen Flughafens zu schützen und zu bewahren. Als Mahnmale sollen sie die Erinnerung an die damaligen Kriegsleiden, an das KZ-Außenlager und die Luftfahrtgeschichte wachhalten. Der Verein veranstaltete in der Vergangenheit regelmäßige Führungen über das Gelände, organisierte Fachvorträge, machte wichtige Erhaltungs- und Restaurierungsarbeiten und arbeitete am Aufbau eines Informationszentrums. Einen bisherigen Höhepunkt stellte die Realisierung einer Informations- und Gedenkstätte („Mahnmal der Stille“) auf der deutsch- niederländischen Grenze dar, die im Jahre 2008 erfolgte. Es ist zu hoffen, dass der Verein seine erfolgreiche Arbeit nach der Coronazeit mit dem gleichen Elan weiterführt.

Ein Netz von Wanderwegen durchzieht heute das Areal des ehemaligen Flughafens. Für das leibliche Wohl sorgt der Birkenhof, ein über die Region hinaus bekanntes Ausflugslokal an einer der ehemaligen Rollbahnen (Heerstraße). Infomaterial erhält man im Netz oder in den örtlichen touristischen Einrichtungen.

Anfahrt: Das Gelände des ehemaligen Flughafens liegt südlich der heutigen Autobahn (A 40 auf deutscher bzw. A 67 auf niederländischer Seite) und etwa 3 km hinter der Anschlussstelle 1 “Nettetal-West” der A 61.

Spurensuche am Wegesrand

Bericht