Der Grand Canal Du Nord
Relikte eines napoleonischen Embargos am Niederrhein
Autor: Michael Kuhn MA
Der Besuch eines außergewöhnlichen Bodendenkmals mit großem politischen Hintergrund. Ein Handelsembargo sollte den einzigen verbliebenen Feind (England) in die Knie zu zwingen. Um es umzusetzen plante Napoleon einen Kanal vom Rhein zur Maas und weiter nach Antwerpen zu bauen. Damit sollten die niederländischen Seehäfen umgangen werden, die sich der Kontinentalsperre für Handelswaren nach England widersetzten.
Napoleons Plan sah eine Verbindung zwischen Rhein und Maas und darüber hinaus bis zur Schelde unter Umgehung der niederländischen Häfen vor. Grund war die strikte Ablehnung des Handelsembargos gegenüber England seitens der Niederlande. Es war Napoleon nicht gelungen England militärisch in die Knie zu zwingen, weshalb er versuchte, das Königreich an seiner empfindlichsten Stelle zu treffen. Da England als Insel maßgeblich von Überseehandel abhängig war, traten zuerst in Frankreich Bestimmungen in Kraft, die eigenen Häfen für englische oder für England bestimmte Waren zu sperren. Zwischen 1803 und 1806 (Kontinentalsperre ab 21.11.1806) mussten sich die meisten europäischen Staaten (Meeresanrainer) diesem Vorgehen anschließen, was in den betroffenen Ländern mannigfaltige Proteste und Widerstände nach sich zog. Vor allem die Seehandelsnation der Niederlande unterlief die unterschriebenen Verträge auf jede nur erdenkliche Art und Weise.
Neben weiteren Vorteilen, wie der Verkürzung der Handelswege zur Nordsee, griff Napoleon deshalb einen alten Plan aus dem 17. Jahrhundert auf, der einen schiffbaren Kanal vom Rhein bis zur Maas vorsah (Fossa Eugeniana).
Bereits im Jahre 1804 reiste Napoleon persönlich an den Niederrhein, um die Realisierung eines seiner Lieblingsprojekte aus nächster Nähe zu begutachten. Detailplanungen fanden ab 1806 statt. Mit der Planung und Durchführung des Projektes wurde Napoleons Chefingenieur Aimable Hageau beauftragt, der im Jahre 1808 mit der Vermessung der Kanaltrasse begann. Ein Jahr später erfolgte am 3. Juli 1809 der erste Spatenstich. Für das Projekt waren 20 Millionen Franc zur Verfügung gestellt worden von denen jeweils 10 Millionen zu Lasten des französischen Staatshaushalts und des Départements de la Roer gehen sollten. Das Projekt sollte zum Jahr 1813 fertiggestellt sein.
Projektiert und umgesetzt wurden folgende Kanalabschnitte und Einbauten:
Die Länge der Kanaltrasse von Neuss bis Venlo betrug etwa 53 Kilometer, wobei kurz vor Venlo die Trasse der Fossa Eugeniana mit einbezogen wurde. Bei einer Wasserspiegelbreite von 16 Meter, einer Sohlbreite von 13 Meter und einer Tiefe von 2,60 Meter sollten insgesamt 3,25 Millionen Kubikmeter Erde bewegt werden. Es war vorgesehen, die Lastkähne (Länge 13 Meter, Breite 4 Meter, Tiefgang 1 Meter) mit einer Zuladung von 200 bis 400 Tonnen über den auf den beidseitigen Böschungen (1,40 Höhe) vorgesehenen Pfaden zu treideln.
Heute noch gut sichtbar sind ein wasserführendes Teilstück des Kanals von Neuss bis Kaarst und mehrere bei Beendigung der Arbeiten noch im Aushub befindliche Teilstücke im Bereich der Krickenbecker Seen (Nettetal) bis zur Schleuse bei Louisenburg. Weitere weniger spektakuläre Teilstücke des Bodendenkmals finden sich in Grefrath (Gaststätte zum Nordkanal) und an weiteren Stellen entlang des Radweges „Fietsallee am Nordkanal“ von Neuss bis nach Venlo.
Ein weiterer Teilabschnitt des Kanals hat sich auf niederländischer Seite über 15 Kilometer als schiffbarer Wasserweg in Midden-Limburg (Noordervaart) erhalten.
Kanalabschnitt zwischen Neuss und Kaarst
Unfertige Kanaltrasse am Poelvenn See (Nettetal)
Von den im Bau befindlichen Schleusen hat sich als einzige die von Louisenburg gut erhalten. Der fast vollendete Bau zeigt eindrucksvoll die Funktion der Anlage.
Die Schleusenkammer besteht aus Backsteinen, wobei die Kanten zur Verstärkung mit Natursteinen verblendet sind. Die Blöcke stammen aus dem Abriss des Klosters Heisterbach im Siebengebirge. Die Ausmaße der Schleuse betragen in der Länge 65 Meter und in der Breite 6 Meter. Die Hubhöhe lag bei etwa 4 Meter. Vor dem nördlichen Schleusentor ist noch der Boden aus Eichenbohlen erhalten.
Ein zeitgleich erbautes Haus (heute Gaststätte Jagdhaus) unmittelbar neben der Schleuse lässt sich aufgrund des französischen Baustils und der Lage durchaus als Schleusenhaus interpretieren.
Die Schleuse in Straelen-Louisenburg
Eine weitere Schleuse, die sich als Gartenteich tarnt, befindet sich im nahe gelegenen Straelen-Herongen (Schrousweg 5). Beeindruckender ist das direkt an der Straße gelegene Schleusenhaus, das sich bis auf den heutigen Tag beinahe unvollendet erhalten hat.
Das Schleusenhaus in Straelen-Herongen
Insgesamt waren 9 Schleusen zur Überwindung des Höhenunterschiedes vom Rhein zur Maas vorgesehen. Zwei davon lagen in Neuss-Grimlinghausen um die Wasserscheitelhöhe von ca. 37 Meter über NN zu erreichen. Über sieben weitere Schleusen sollte ab Louisenburg das Gefälle der Maasterrasse bewältigt werden.
Neben der Schleuse von Louisenburg ist das Epanchoir von Neuss das absolute Highlight am Beginn des Nordkanals. Das Technikdenkmal wurde vor wenigen Jahren wieder freigelegt und perfekt restauriert Die Funktion des Bauwerks bestand in der Überwindung der Wasserkreuzung zwischen Erft und Nordkanal und der Regulierung des Wasserstandes. Das „Entlastungsbauwerk“ hat zwei Überlaufwehre mit fest installierten „Schütztafeln“, die mittels Hebevorrichtungen an Zahngestängen geöffnet und geschlossen werden können.
Das Epanchoir in Neuss
Überlauf- und Ausgleichstore
Ein ähnliches Bauwerk war noch bei der Querung der Niers bei Viersen geplant.
Von den geplanten Häfen an der Einmündung in den Rhein bei Neuss-Grimlinghausen, in Viersen-Süchteln und in Venlo haben sich keine Spuren erhalten oder die Arbeiten hatten noch nicht begonnen. Denn nach einer Bauzeit von nur etwas mehr als einem Jahr und dem Verbrauch von ca. 12 Millionen Franc wurden die Arbeiten am Canal du Nord zum 1. Januar 1811 eingestellt. Der Hauptgrund lag in der Annexion der Niederlande und der damit verbundenen Kontrolle über die holländischen Seehäfen am 9. Juli 1810, was eine Fortsetzung der teuren Bauarbeiten in keinem Verhältnis zum zu erwartenden Nutzen setzte.
Das Ende der Geschichte des Nordkanals ist schnell erzählt. In den Jahrzehnten der nachnapoleonischen und zu Beginn der preußischen Ära wurde ein Teilstück des Kanals von Neuss nach Neersen für den Waren- und Personenverkehr bis 1850 genutzt. Mit dem Siegeszug der Eisenbahn wurde eine Weiterbetreibung jedoch unrentabel. Andere Teilstücke wurden wieder zugeschüttet oder künden bis heute in abgelegenen Waldgebieten oder Grünanlagen von einem ambitionierten und mit viel Elan begonnenem Verkehrsprojekt des frühen 19. Jahrhunderts.
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