Die Aachener Landwehr

Fortis Urbs Aquensis 4

Die Aachener Landwehr an der Grenze zu Belgien beim Grenzübergang Köpfchen

Autor: Michael Kuhn

Über siebzig Kilometer zog sich einst die Aachener Landwehr um das Aachener Reich und schützte Stadt und direktes Umland vor dem Zugriff feindlicher Banden und anderer unerwünschter Gesellen. Angelegt mit Wall und Graben und mit einer undurchdringlichen Hecke versehen, zieht sich die Landwehr heute eher als schützenwertes Naturdenkmal durch Wald und Flur. Ein lohnendes Ziel für Geschichtsinteressierte und Naturliebhaber jeden Alters.


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Bei der Vorstellung einer rings um eine Stadt verlaufenden Befestigung denkt man unwillkürlich an hochragende Mauern und Türme. Man verkennt dabei völlig, dass es außer den Menschen und ihren Gebäuden auch noch weitere schützenswerte Einrichtungen gab. Dazu zählte die nähere und weitere Umgebung einer Stadt, die einen Großteil der Nahrungsmittel, der Brennstoffe und auch einen Teil der vorhandenen Bodenschätze lieferte. Dieser Beitrag möchte dazu beitragen, dass ein ganz besonderes Relikt der Aachener Geschichte im Bewusstsein verankert bleibt.

Das Aachener Reich versteht man heute als das durch eine Landwehr geschütztes Territorium der ehemaligen freien Reichsstadt unter Einbeziehung der Flächen innerhalb der zweiten Stadtmauer. Das Gebiet umfasste mehrere voneinander unterschiedene Gebiete mit einer Gesamtfläche von ca. 9000 Hektar.

Karte des Aachener Reiches

Der unmittelbar vor der Stadtmauer gelegene Teil wurde als „Glockenklang“ bezeichnet. Die Bewohner konnten bei Gefahr durch den Klang der Glocken gewarnt werden. Unterteilt war der Glockenklang in „Grafschaften“, denen jeweils ein Hauptmann vorstand, der mit seiner Mannschaft in einem Stadttor untergebracht war (Kölntor, Adalbertstor, Wirichsbongardtor, Marschiertor, Rostor, Jakobstor, Königstor, Ponttor, Berg- und Sandkaultor).

Darüber hinaus gab es die sieben Quartiere, bei denen es sich um Ortschaften und Ländereien vor der Stadt handelte. Dazu zählten Berg (Laurensberg), Haaren, Orsbach, Siers, Vaalserquartier, Weiden (Broichweiden) und Würselen. In den Quartieren wurden acht Türme (Häuser) errichtet, die mit dem Langen Turm, dem höchstgelegenen Turm der Stadtbefestigung, in Blickkontakt standen. Bei Gefahr konnten sie optische und/oder akustische Nachrichten weiterleiten. Dies geschah mittels Rauch- oder Lichtzeichen sowie Böllerschüssen.

Bis heute haben sich die folgenden Türme/Häuser erhalten: Haus Hirsch (Laurensberg), Haus Beeck (Vaalserquartier), Adamshäuschen, Linzenshäuschen und die Orsbacher Burg. Nicht mehr erhalten sind die Türme in Morsbach, Wambach, Verlautenheide und vielleicht in Wegscheid. Bewohnt wurden die Häuser oder Türme ab dem Beginn des 16. Jahrhunderts von Förstern und ihren Gehilfen, die für das jeweilige Gebiet zuständig waren. Sie warnten bei der Annäherung feindlicher Gruppen und waren für die Pflege der Waldungen und der Landwehranlagen zuständig.

Burg Orsbach

Linzenshäuschen

Haus Beek

Haus Hirsch in Laurensberg

Adamshäuschen

Der Lange Turm, höchster Punkt der Aachener Stadtbefestigung (äußere Stadtmauer). Hier liefen alle Signale der einzelnen Türme zusammen.

Das Aachener Reich bildete sich zwischen dem 12. Und dem 14. Jahrhundert. Eine Urkunde aus dem Jahre 1336 (König Ludwig IV.) bestätigte die Herrschaft Aachens über die umliegenden Dörfer.

Umgeben war das Aachener Reich von einer nicht unterbrochenen Landwehr mit einer Gesamtlänge von annähernd 70 km. Diese Grenzbefestigung bestand aus einem rund 4 m hohen Mittelwall und zwei jeweils bis zu 1,20 m hohen nebenwällen. Zwischen den Wällen verliefen bis zu 4 m tiefe, teilweise mit Wasser gefüllte Gräben. Der Mittelwall wurde zusätzlich mit einer eng gesetzten Hainbuchenhecke (manchmal auch Eiche) bepflanzt. Diese Hecke wurde auf Mannshöhe gestutzt, weshalb die Äste vor allem zu den Seiten austrieben und sich untereinander verharkten. In den noch vorhandenen Zwischenräumen siedelte man zusätzlich Schlinggewächse und Dornenbüsche an.  Auf diese Weise entstand ein dichtes „Gebück“, das kaum zu durchdringen war. Insgesamt 10 m musste ein Eindringling vom Boden des Grabens bis zur Höhe der hecke auf dem Wall überwinden, wenn er die Grenze überwinden wollte. Ein schwieriges und zeitraubendes Unterfangen. Die Nebenwälle wurden nicht bepflanzt und am stadtseitigen Wall befand sich ein Reit- und Fußweg zur besseren Erreichbarkeit und Pflege der Anlage. Zum Beginn des 17. Jahrhunderts wurde der Verlauf der Grenze noch einmal überarbeitet und zusätzlich mit Adlersteinen markiert. Von den ursprünglich 138 Steinen, die ein Steinmetz vor Ort mit einem eingemeißelten Adler versehen hatte, haben sich leider nur wenige erhalten (ca. 15-20).

Hauptwall und vorderer Graben

Rekonstruktion des Hauptwalles am Originalort

Einer der wenigen “überlebenden” Grenzadler

Jüngere Grenzsteine an der Deutsch-Belgischen Grenze bei Köpfchen

Das Ende der 600jährigen Geschichte der Landhege kam mit dem Einmarsch der Franzosen während des Ersten Koalitionskrieges und der anschließenden Besetzung des Linken Rheinufers (1794). Die bis dahin regelmäßig kontrollierten und Instand gesetzten Anlagen wurden sich selbst überlassen und verwilderten in der Folge.

In der Folge verrichteten Bodenerosion, Verschlammung der Wege und Absterben einzelner Teile der einst undurchdringlichen Hecke ihr zerstörerisches Werk. Die nicht mehr gestutzten Buchen schossen in die Höhe, verdrängten Nachbarpflanzen und wuchsen zu knorrigen und verkrümmten Bäumen heran. Einige nahmen teilweise bizarre Formen wie Harfen oder Schiffskastelle an. Von der früheren Hecke künden vielerorts nur noch abgeflachte Wälle, teilweise verfüllte Gräben und lange Reihen grotesk verformter Buchenstämme. Erst in den letzten Jahren haben Restaurierungsarbeiten einen Teil der ehemaligen Grenzbefestigungen dem Tourismus und der Naherholung erschlossen. Gerade an den heutigen Grenzen zu Belgien und den Niederlanden kann man den Verlauf der Landwehr in Wald und Feld verfolgen. Ein lohnendes Ziel für Wanderungen in die nächste Umgebung der Stadt Aachen.

Überbleibsel der Landwehr an der Niederländischen Grenze bei Orsbach

Bericht