Ein Arkadien in der Börde
Die ländliche römische Besiedlung im südlichen Niedergermanien
Autor: Michael Kuhn
Eine zweihundertfünfzigjährige Friedensperiode ermöglichte der rheinischen Bördelandschaft zwischen Aachen und Köln eine Blüte, die vorher und auch lange nachher nicht wieder erreicht wurde. Der Autor untersucht in seinem Beitrag über die römische landwirtschaftliche Besiedlung im südlichen Niedergermanien die Voraussetzungen, Bedingungen und den Verlauf dieser Entwicklung. Der Beitrag ist erschienen in: Alexander Holz (Hrsg), Antike an Merzbach und Rur, Aachen 2022.
Vollständiger Artikel als PDF
zum Download (ca. x,x MB)
Seit der Steinzeit besiedelt und in Jahrtausenden immer weiter landwirtschaftlich erschlossen, kann man die fruchtbaren Böden der Köln-Aachener Bucht mit gutem Recht als eine der Kornkammern des nordwestlichen Imperiums bezeichnen. In der Blütezeit vom 1. bis zum 3. Jahrhundert reihten sich hier fruchtbare Felder und unzählige Höfe. Von der palastartigen Villa mit Bädern und steinernen Nebengebäuden bis hin zum ärmlichen Kleingehöft mit Ställen und Scheunen war alles vertreten. Verkehrswege erschlossen die Landschaft und in regelmäßigen Abständen gab es Dörfer und Marktflecken, auf denen die erzeugten Güter auch außerhalb der großen Städte angeboten wurden. Blühende Landschaften, die in den Stürmen der Völkerwanderung viel von ihrer Funktion und Bedeutung einbüßten. Ein verlorenes Paradies, das man anhand der zahlreichen Funde nur noch erahnen kann.
Die Voraussetzungen
Betrachten wir zunächst die Voraussetzungen: Die fruchtbaren Lössböden der Kölner Bucht bildeten sich während der letzten großen Eiszeit (vor ca. 115.000-13.000 Jahren) erdgeschichtlich am Ende des Pleistozäns (2,7 Mio. Jahre bis ca. 10.000 v. Chr.) im noch heute andauernden Erdzeitalter des Quartärs. Im weitgehend vegetationslosen Vorland der Vergletscherungen kam es zu Winderosionen, die sich in Bereichen mit Vegetation oder/auch an den Rändern der Mittelgebirge ablagerten.
Die fruchtbare Löss-Zone in der Kölner Bucht mit Römerstraßen
Die gelblich/grauen, bis zu 30 m mächtigen und schnell verwitternden Ablagerungen, bestehen zum großen Teil aus Quarzen und Kalken. Wegen des hohen Mineralanteils (Feldspat, Glimmer), einer guten Wasserspeicherung und günstiger Bodenbelüftung (Durchwurzelungsfähigkeit) gelten Lössböden in Verbindung mit gemäßigten Klimabedingungen als extrem fruchtbar. Die gelblich bis grauen Lößschichten zwischen Maas- und Rheintal beginnen an einer gedachten Linie von Roermond bis Neuss und werden im Süden durch die Anhöhen der Voreifel begrenzt (Maastricht, Aachen bis Bonn).
Die Zeit bis zu den Römern
Der erste Ackerbau in unserer Region begann in der Jungsteinzeit um ca. 4000 v. Chr. Auf die Epoche der Bandkeramik folgten die Rössener und die Mechelsberger Kulturen, sowie Bronze- und Eisenzeit. Bearbeiteter Feuerstein (Silex), Keramik und erste Metallerzeugnisse belegen eine durchgängige Besiedlung in all diesen Epochen und überziehen als nicht versiegender Fundschleier die Äcker und Fluren der Lössbörde.
Die Siedlungen der vorrömischen Zeit waren zum großen Teil lockere, dorfähnliche Gehöftgruppen aus zumeist 4-9-pfostigen, hölzernen Wohn-, Speicher, und Stallbauten. Eine Befestigung dieser Siedlungen durch Wall und Graben konnte u.a. in Niederzier-Hambach, Inden oder in Eschweiler-Lohn nachgewiesen werde. Es ist auffällig, dass diese Siedlungen beim Eintreffen der Römer in der späten Eisenzeit um 50 v. Chr. größtenteils aufgegeben waren. Denkbar ist eine Aufgabe der bestehenden Siedlungsformen gegen eine Flächennutzung mit vermehrten Einzelgehöften. Die Gründe für eine solche Umwidmung liegen bisher im Dunkeln. Die häufig gebrauchte Erklärung des Völkermordes und einer gänzlichen Vertreibung der Eburonen durch Julius Cäsar in den Jahren 54/51 v. Chr. sowie der unter Agrippa nachfolgenden Umsiedlung der Ubier in die angeblich siedlungsleeren Gebiete ist jedenfalls nicht haltbar. Ein Spektrum überwiegend ubischer Funde ist jedenfalls nicht vorhanden. Ebenso waren die befestigten Siedlungen und Höhenbefestigungen der keltischen und keltisch/germanischen Stämme bereits seit Jahrzehnten aufgegeben und nicht mehr bewohnt. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass sie in den Jahren des Aufstandes vereinzelt als Rückzugsorte gedient haben. Hierfür spricht Cäsars Schilderung der Belagerung und der Schlacht von Atuatuca. Diese Höhenbefestigung ist nach neueren Forschungen mit dem Hohenstein bei Eschweiler gleichzusetzen.
Die Besiedlung der Börde in römischer Zeit
Wie oben beschrieben bestand die Besiedlung der Börde zu Beginn der römischen Zeit aus Einzelgehöften, die sich anhand der Gegebenheiten über die Landschaft verteilten. Es waren in der Regel traditionelle Holzbauten mit Stallungen und Speichergebäuden, die bis weit ins 1. Jh. n. Chr. und teilweise bis in das beginnende 2. Jh. dominierten.
Eine erste Besiedlungswelle mit zahlreichen Neugründungen lässt sich in die erste Hälfte des 1. Jh. datieren. Neben den Neuanlagen im Lößgebiet der Kölner Bucht lässt sich auch eine vermehrte Siedlungszunahme in der Voreifel und an der Ahr beobachten. Die stärkste Neubesiedlung ist für die zweite Hälfte des 1. Jh. fassbar. Hierfür lassen sich vor allem politische Gründe anführen. Zum einen erlangte das heutige Köln den Status einer Colonia (50 n. Chr.) und das linksrheinische Germanien wurde im Jahre 85 n. Chr. von einem Militärbezirk in den Stand einer vollgültigen Provinz versetzt. Der Hauptgrund für die prosperierenden Verhältnisse ist jedoch In der Niederschlagung des Bataveraufstandes (70 n. Chr.) und einer dadurch enorm verbesserten Sicherheitslage im nordwestlichen Imperium zu sehen.
Die wirtschaftliche Ausrichtung der zumeist der Selbstversorgung dienenden Höfe hatte sich unterdessen massiv verändert. Truppenmassierungen am Rhein und die stetig wachsende Bevölkerung in den städtischen und ländlichen Siedlungszentren brachten es mit sich, dass der weitaus größte Anteil der Ernte die Bedürfnisse decken musste. Profitstreben und damit einhergehend die Verbesserungen von Arbeits- und Anbaumethoden brachten Wohlstand und Anerkennung, was sich im luxuriösen Lebensstil niederschlug. Doch davon später mehr.
Es folgte eine beinahe zweihundert Jahre währende Friedensphase, die der Region einen damals ungeahnten Aufstieg bescherte. Die Zahl der Neugründungen setzte sich, wenn auch etwas verhaltener, bis in die zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts fort. Erschlossen wurden auch die Regionen der Nordeifel mit ihren wichtigen Bodenschätzen. Beispielhaft sind hier die Villen und Siedlungen von Stolberg (Mausbach) mit ihren Vorkommen von Erzen und Buntmetallen zu nennen.
Eine deutliche Zunahme an Umbauten vorhandener Siedlungsstellen ist ebenfalls für das späte erste und das gesamte zweite Jahrhundert belegt. Traditionell eisenzeitliche Anlagen erfuhren eine gallorömische Umwidmung. Dieser Prozess lässt sich bis ins dritte Jahrhundert hinein beobachten.
Als Lebensadern durchzogen zwei römische Fernstraßen das Gebiet der niederrheinischen Bucht. Von Osten nach Westen verband in gerader Linie die sogenannte Via Belgica die Provinzhauptstadt Köln mit den Häfen am Ärmelkanal und an der Atlantikküste. Eine weitere Fernverbindung bestand zwischen Köln und Trier, der Provinzhauptstadt der Belgica. Diese „Agrippastraße“ verband das Rheinland über Zülpich, Nettersheim, Jünkerath, Bitburg, Trier, Metz, und Lyon hinaus mit dem Mittelmeerraum. Verbindungen zwischen den beiden Hauptstraßen, Provinzstraßen wie etwa von Xanten nach Aachen, Stichstraßen und Parallelwege erschlossen die Region in einem für die damalige Epoche dichten Verkehrsnetz. An verkehrstechnisch wichtigen Punkten wie Straßenkreuzungen und Flussübergängen sowie in Abbaugebieten von Bodenschätzen entstanden Ansiedlungen (Vici) mit einigen hundert bis mehreren tausend Einwohnern (z.B. Jülich (Iuliacum), Stolberg-Breinig, Euskirchen-Billig (Belgica), Rimburg, Baesweiler etc.).
Hinzu kam die Nutzung der kleineren und größeren Wasserstraßen wie Rhein, Maas, Rur, und Erft getreu dem Motto: Besser getreidelt und gefahren als mühsam marschiert. Insgesamt besehen war die Börde ein Wirtschaftsraum mit guten Anbindungen zu den bevölkerungsreichen Städten an den Grenzen und im Innern des Imperiums.
In der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts sind die ersten Ansiedlungen unter dem Druck der sich verändernden Verhältnisse aufgegeben worden. Die vermehrten Überfälle der rechtsrheinischen Franken auf das Gebiet des Imperiums kulminierten in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts im großen Frankeneinfall des Jahres 259/260 n. Chr. Um sich vor Plünderung und Zerstörung zu schützen, gingen die Besitzer dazu über, ihre Anwesen militärisch zu schützen. Entweder wurde das Haupthaus durch Wall und Graben oder eine Kleinbefestigung (Burgus) gesichert. Als hiesiges Beispiel ist in diesem Zusammenhang die römische Villa von Jülich-Kirchberg zu erwähnen. Eine beredte Sprache dokumentieren auch die zahlreichen Hortfunde des dritten und vierten Jahrhunderts. Geld, Schmuck und andere Wertgegenstände wurden bei drohender Gefahr vergraben und später nicht wieder geborgen. Über das Schicksal der damaligen Besitzer lässt sich nur spekulieren.
Ein zweiter großer Germaneneinfall in der Mitte des vierten Jahrhunderts brachte eine noch größere Zäsur in der landwirtschaftlichen Besiedlung. Reihenweise wurden Landgüter und Villen zerstört und/oder aufgegeben. Was jedoch nicht heißen soll, dass sich die bewirtschaftete Fläche in gleichem Ausmaß verkleinerte. Anbau und Ernten wurden von den nahen, befestigten Ortschaften oder gesicherten Großbetrieben organisiert. Erst mit dem Ende der römischen Staatlichkeit im fünften Jahrhundert begann eine neue Epoche der landwirtschaftlichen Nutzung in unserer Region. An die Stelle der auf Absatz ihrer Erzeugnisse orientierten Betriebe traten wiederum Höfe, die zum größten Teil der Selbstversorgung der Bewohner dienten, und vielfach zu den Keimzellen heutiger Dörfer und städtischer Siedlungen wurden.
Die Villa Rustica als Mittelpunkt der landwirtschaftlichen Produktion
Eine typisch römische Villa Rustica (Villa Mehring) mit zwei Eckrisaliten und einer Porticus
Die Hofstellen und Landgüter erreichten bereits damals eine erstaunliche Größe. Von der kleinen nach vorrömischer Art errichteten Hofstelle bis zur aufwändig erbauten Villa Rustica mit Bädern, Heizungen, Mosaiken und diversen Nebengebäuden wie Scheunen, Stallungen und Gesindehäusern war alles vorhanden.
Der dominierende Haustyp war die klassische Risalitvilla mit einem oder zwei vorspringenden Gebäudeteilen an den Seiten. Dazwischen überdachte eine Porticus (Säulenvorhalle) den Eingangsbereich. Dahinter befand sich entweder ein großer Innenhof oder überdachter Saal, um den sich die weiteren Zimmer (Schlafräume, Küche, Speisezimmer etc.) gruppierten. In wohlhabenden Anwesen waren einige Räume wie Schlafzimmer oder das Bad mit einem Heizsystem (Hypocaustum: Boden- und Wandheizung) ausgestattet. Besonders aufwendige Anlagen verfügten über ein eigens angebautes Badehaus mit Warm-, Kalt- und Schwitzbecken sowie einer Latrine. Wasser bezog man entweder aus Brunnen oder über eine Wasserleitung, die Quellwasser heranführte. In der Regel gab es einen unterkellerten Bereich für die Vorratshaltung.
Die in der Germania Superior oder der Belgica häufigen Axialvillen (z.B. Villa Borg, Villa Otrang) oder die Palastvillen des Trierer Umlandes (Welschbillig, Nennig, Longuich, Konz) fehlen in Niedergermanien bis auf wenige Ausnahmen. Daneben gab es, wie oben erwähnt, noch Hofstellen, die in eisenzeitlicher, vorrömischer Art errichtet waren. Dazu zählen die aus Einzelgebäuden bestehenden Streuhofanlagen der Börde und die oft als Wohnstallhäuser erbauten Höfe (Wohnstallhäuser) nördlich der Löss-Zone, die in erster Linie der Viehhaltung und Weidewirtschaft dienten.
Grundriss einer typischen Villa Rustica bei Stolberg. Deutlich sind oben die vorspringenden Eckrisalite mit dazwischen liegender Säulenvorhalle (Portikus) zu erkennen. Mit freundlicher Genehmigung des Aachener Geschichtsvereins.
Das eigentliche Hofareal in einer Größe von 0,5 bis 4 ha umgab als eingefriedeter Bereich das Hauptgebäude (Portikusvilla). Meistens umgab diesen Bereich ein Graben und/oder eine Hecke. Ummauerte Bezirke sind selten und große Torgebäude fehlen in Niedergermanien. Innerhalb der Einfriedung befanden sich die Gesindehäuser, Stallungen, Speicherbauten und Brunnen sowie Obst-, Gemüse und Kräutergärten. Kleinere Weideflächen sowie Teiche (zu Löschzwecken oder für Wasservögel und manchmal auch zur Fischhaltung angelegt) gehörten zum Standard einer Hofanlage.
Ebenfalls lassen sich häufig kleine, handwerkliche Produktionsstätten auf dem Gelände einer Villa Rustica nachweisen. Dazu zählen Töpferöfen, die nur kurze Zeit in Betrieb waren und vielfach von „Wandertöpfern“ betrieben wurden. Sie kamen in regelmäßigen Abständen und produzierten vor Ort die benötigte Irdenware. Ebenso lassen sich Glasöfen zum Wiedereinschmelzen beschädigter Gläser und Scheiben, Schmieden und andere Handwerke nachweisen. Ein beredtes Zeugnis einer bewegten Vergangenheit stellen Gerätschaften aus dem 3. Jahrhundert (Gussformen) zur Herstellung von Falschgeld in einer Hambacher Villa dar.
Modell: Hofareal mit Nebengebäuden, Gärten und Jupitersäule. Mit freundlicher Genehmigung der Gemeinde Nettersheim
Religiöse Einrichtungen wie Tempel und andere Heiligtümer fehlen im Vergleich zu anderen Regionen des Imperiums. Sie befanden sich außerhalb der Hofbereiche an exponierten Stellen in der Umgebung (Matronenheiligtümer etc.). Für den umfriedeten Bereich der Landgüter sind jedoch Jupiter- (Giganten) Säulen als Herrschaftssymbole der römischen Kultur belegt, deren Überreste sich in verfüllten Brunnen oder noch heute als Spolien in frühen christlichen Kapellen und Kirchen finden und somit als Indikatoren einer in der Nähe befindlichen römischen Villa dienen (z.B. Nikolauskapelle in Langerwehe/Geich). Sie sind noch in der Spätantike oder im frühen Mittelalter den religiös motivierten Bilderstürmen fanatischer Christen zum Opfer gefallen.
In unmittelbarer Nähe der Hofumfriedung lagen auch die Grablegen der Einwohner. Vom großzügigen Pfeilergrabmal bis zum einfachen Brandgrab dokumentieren diese Gräberfelder (vielfach an den umliegenden Wegen und Straßen angelegt) vom Leben und Sterben der Bewohner.
Die Anzahl der Bewohner einer Villa Rustica durfte je nach Größe des Landgutes zwischen 20 und 50 bis hin zu 100 Personen betragen haben. Dazu zählten die Familie des Grundherrn sowie das Gesinde, das aus Bediensteten und Knechten mit ihren Familien bestand. Die Verwendung von Sklaven wird weit überschätzt und bezieht sich nur auf Zeiten, in denen Kriegsgefangene gemacht wurden. Zu Erntezeiten dürften Saisonkräfte diese Anzahl noch gesteigert haben.
Das bewirtschaftete Areal eines solchen Landgutes konnte in seltenen Fällen bis zu 400 ha betragen. Die durchschnittliche Größe der landwirtschaftlichen Produktionsstätten lag bei 100 bis 200 h. Man kann demnach davon ausgehen, dass alle 500 bis 1000 m eine römerzeitliche ländliche Siedlungsstelle zu vermuten ist. Sofern sie nicht überbaut oder aus anderen Gründen nicht mehr nachweisbar sind, warten noch viele Villen und Gehöfte auf ihre Entdeckung. Es kann sich lohnen, einen frisch gepflügten Acker zu begehen und eventuelle Funde den zuständigen Stellen mitzuteilen.
Schema von ländlicher Besiedlung. Auffällig sind die Gräberfelder außerhalb der Nutzflächen entlang von Straßen und Wegen
3000 bis zu 4000 nachgewiesene und vermutete Siedlungsstellen im Betrachtungsgebiet der Kölner Bucht entsprachen einer Bevölkerung von 150.000 bis 200.000 Menschen. Unter Einbeziehung der Bewohner der Städte, militärischer Einrichtungen, Vici, sowie Handwerker- und Knappensiedlungen und den spärlich besiedelten Gebieten am Niederrhein und Teilen der heutigen Niederlande darf man für die Germania Inferior von mehr als 400.00 bis 500.000 Bewohnern ausgehen. Eine Masse an Menschen, die hauptsächlich durch die landwirtschaftlichen Erzeugnisse der Lössbörde ernährt werden mussten.
Die bevorzugte Lage einer Villa Rustica befand sich entlang der damaligen Fernverbindungen, um den Transport der Erträge zu erleichtern. Man vermied dabei die unmittelbare Nachbarschaft der großen Überlandverbindungen, auf denen mit Gesindel und kriminellen Elementen gerechnet werden musste. Also bemühte man sich um Standorte, die dem direkten Sichtfeld durch Gehölze oder Anhöhen entrückt waren. Bevorzugte Lagen waren windgeschützt und sicher vor Überschwemmungen. Praktisch bedeutete das eine Südlage im oberen Teil einer sachten Anhöhe. Rückwärtige Ansiedlungen waren durch Seitenwege und Querverbindungen an das Straßennetz angeschlossen. Topografisch bevorzugte man der Sonne zugewandte Lagen im Windschatten von Bodenerhebungen, die zum einen Sichtschutz vor dem Verkehr auf den Straßen boten, jedoch so hoch lagen, dass es keine Probleme mit Grundwasser gab. Die Wasserversorgung wurde durch Brunnen und vermehrt durch Leitungen gewährleistet, die frisches Quellwasser heranführten.
Eine schematische Darstellung der bekannten Siedlungsstellen zeigte die starke Verdichtung im Gebiet der Kölner Bucht
Landwirtschaftliche Nutzung
Angebaut wurde in erster Linie Weizen in allen seinen Unterarten wie Emmer, Dinkel und Einkorn. Desgleichen waren weite Areale mit Roggen und vereinzelt auch mit Gerste bestückt. Beide Sorten wurden jedoch eher als Tierfutter, denn für den menschlichen Verzehr verwandt.
Es war aber nicht nur die Erschließung neuer Anbauflächen, die einen Anstieg der Ernteerträge forcierte. Daneben standen die von den Römern mitgebrachten Innovationen wie Fruchtwechsel (Dreifelderwirtschaft), verbessertes Saatgut und ertragreichere Sorten. Hinzu kam der Einsatz bisher nicht gekannter Arbeitsgeräte wie leistungsstarke Pflüge (Räderpflug, Eggen etc.) und Erntemaschinen wie den Vallum.
Der Vallum, eine römische Erntemaschine
Gemüse und Kräuter wurden in Beeten innerhalb des Hofareals gezogen. Erbsen, Linsen, Kohl, Zwiebeln, Knoblauch und ein ganzes Arsenal von Würzkräutern bereicherten wie heute den Speisezettel. Einiges war bereits in vorrömischer Zeit bekannt, vieles brachten die Eroberer mit. Als Beispiel sei hier die Esskastanie angeführt, die von den Römern aus dem Mittelmeerraum mitgebracht wurde. Überall dort, wo dieser Baum in unseren Breiten in der Natur wurzelt, handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um ehemaliges römisches Verwaltungs- und Siedlungsgebiet. Jenseits von Rhein und Donau war dieser Baum bis vor hundert Jahren nur in Parks oder Gärten zu finden.
Weitere Mitbringsel waren Pflaumen, Aprikosen, Kirschen und Pfirsiche. Apfel, Birnen und diverse Beerensorten waren bekannt, wurden aber durch verbesserte Sorten ergänzt. Dazu zählt auch der Weinbau ab dem Ende des dritten Jahrhunderts. Er beschränkte sich jedoch auf das klimatisch besonders geeignete Flusstal der Mosel und vereinzelte Anbaugebiete in der heutigen Pfalz. Für den Weinbau am Rhein und seinen Nebenflüssen fehlen die Nachweise, die erst seit dem frühen Mittelalter vorhanden sind.
Als Nutztiere wurden vor allem Schweine und Hühner gemästet. Gänse und Enten wurden ebenfalls in großen Beständen gehalten. Rinder, Pferde und Esel erleichterten den Menschen hingegen die Feldarbeit oder dienten dem Transport. Hunde wurden zu Wach- und Hütezwecken gehalten. Den Römern verdanken wir auch die Hauskatze. Diese orientalischen Falbkatzen machten nicht nur die abgerichteten Frettchen arbeitslos, sondern mischten sich mit unseren Wildkatzen, woraus unsere heimischen Rassen entstanden (europäisch Kurzhaar).
Das Erlöschen der römischen Staatlichkeit in den Provinzen am Rhein bedingte im 5. Jahrhundert den Wegfall des Militärs als einem der Hauptabnehmer landwirtschaftlicher Produkte. Der Rückgang der städtischen Bevölkerung in den großen Siedlungszentren ließ die Nachfrage ebenfalls stark sinken. Die landwirtschaftlichen Großbetriebe der Spätantike wurden einer nach dem anderen aufgegeben und durch kleinere Betriebseinheiten abgelöst. Unter diesen Bedingungen konnten auch die stolzen Herrenhäuser der Villae Rusticae nicht weiter existieren. Es fehlte an Personal zur Bewirtschaftung und an Handwerkern, um die anfälligen Heizungs- und Leitungssysteme in Stand zu halten. Sie wurden durch kleinere, meist hölzerne Neubauten ersetzt, die eher den Gehöften der Eisenzeit entsprachen. Die Ruinen der Vorbesitzer dienten während der folgenden Jahrhunderte als willkommene Quellen von Baumaterialien für sakrale und profane Bauten in der Nachbarschaft. Flurnamen wie Scherbenacker, Ziegelgrund oder Steinacker deuten noch heute auf ehemalige Gehöfte hin. Mit etwas Glück kann man bei einem Rundgang über einen frisch gepflügten Acker Scherben und Ziegelreste auflesen.
Ein Gruß aus den längst vergangenen Zeiten der römischen Antike.
Ein sehr schöner Beitrag! Interessant wäre, was davon auf die Villen-Besiedlung im nördlichen Raetien rund im Regensburg im 2. und 3. Jh übertragbar wäre.