Ein karolingerzeitlicher Palast mit Kapelle in Asturien
Autorin: Ulrike Neumann
Eine Reise nach Asturien kann zu einer großen Überraschung führen. Man sieht sich plötzlich mit einer Architektur konfrontiert, die man so nicht erwartet hätte. Es handelt sich um einen sehr gut erhaltenen Palastbau und einer dazugehörigen Kapelle aus karolingischer Zeit. Eine spannende Begegnung mit einem besonderen Monumemt des 8./9. Jahrhunderts.
Als Domführer in Aachen ist man immer auf der Suche nach Vergleichsobjekten aus karolingischer Zeit. Jeder denkt an die Mosaiken von Germigny-des-Prés und die Abteikirche von Ottmarsheim, aber nach Nordspanien wendet sich der Blick nicht so schnell.
Am Fuße des Monte Naranco, am Ortsrand von Oviedo in der Provinz Asturien, befinden sich zwei erstaunliche Bauwerke aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts, die, man muss es gleich vorwegnehmen, zwar vorromanisch sind, das Etikett „karolingisch“ jedoch nicht verdienen, da dem Machthunger Karls des Großen bei Roncesvalles auf dramatische Weise ein Ende gesetzt wurde.
Die Reise beginnt im von Gehrys Museumsbau bestimmten Bilbao, nähert sich über den reizenden, kantabrischen Hafenort Comillas, der mit Gaudí El Capricho einen Publikumsmagneten besitzt, Oviedo, einer Stadt, die im 9. und 10. Jahrhundert Residenz des damals unabhängigen Königreiches Asturien war, während des Spanischen Bürgerkriegs allerdings ihre historische Bausubstanz verloren hat.
Am Monte Naranco angelangt, sollte man sein Auto unbedingt auf dem unterhalb des Hügels gelegenen Parkplatz abstellen und sich zu Fuß auf den Weg machen. Es geht steil bergauf durch eine von Obsthainen geprägte Natur, wenige einsam gelegene Häuser säumen den Weg.
Und dann taucht plötzlich ein Zipfelchen Mauerwerk auf. Man möchte den Blick nicht abwenden, schreitet schneller aus, um bald darauf auf einer ebenen Fläche zu stehen, die den Blick auf den mutmaßlichen Palast von König Ramiro I. (* um 790; † 1. Februar 850) freigibt. Die Ausmaße des hohen schlanken Baus, 9 Meter hoch, 21 Meter lang und 6 Meter breit, der sich stolz vor den Toren von Oviedo erhebt, sind eher bescheiden. Hat der asturische König zufällig den Ort gewählt, an dem bereits die Römer eine Thermenanlage errichtet hatten?
Gebaut wurde mit Quadern und Bruchsteinen, gedeckt ist es mit einem Satteldach. Die Räume des Obergeschosses sind mit einem Tonnengewölbe eingewölbt.
Aufgrund der baulichen und dekorativen Gestaltung des Obergeschosses muss man davon ausgehen, dass das Bauwerk repräsentativen Zwecken diente. Der Vergleich des Palastes von Naranco mit mittelalterlichen Königspfalzen liegt nahe, die Halle würde dann einer Aula regia entsprechen. Gesichert ist allerdings sehr wenig, wie der ausgezeichnete Führer bestätigte. Sein Spruch „ver y ser visto“ bezüglich der drei Balkone, wobei der an der Südseite gelegene heute nicht mehr existiert, entspricht der Eitelkeit und dem Machtanspruch von Herrschern und hat bis heute nichts von seiner Gültigkeit verloren.
Außen werden die Langseiten des Gebäudes, also Süd- und Nordfassade, durch je acht Strebepfeiler gegliedert. An den Stirnseiten werden Aussichtsarkaden, miradores, von Triforien mit Rundbögen gestaltet, deren Säulen mit Kordelmotiven verziert sind. Die Kapitelle haben schlichte Blattmotive. In den Zwickeln befinden sich Medaillons, die mit Vögeln und Raubkatzen dekoriert sind.
Diese Themen wiederholen sich auf den Kapitellen und Medaillons im Innern des Raums. Dazu gesellen sich Reiter und Figuren, die einen Bogen über ihrem Kopf halten. Westgotische, byzantinische und islamische Einflüsse sind erkennbar.

Wandgestaltung mit Rundbögen.

Kapitell mit Vögeln und Raubkatzen.
Drei Rundbögen an den Schmalseiten, sieben an den Langseiten gliedern den Raum im Innern.
Man kann davon ausgehen, dass der Palast ursprünglich verputzt war, außen weiß, damit er weithin sichtbar war. Im Innern ist eine farbliche Gestaltung denkbar.
Der schlicht gehaltene Unterbau mit sehr tief angesetztem Tonnengewölbe trägt die Bezeichnung „Krypta“, wohl aus der Zeit als das Gebäude als Kirche genutzt wurde.
Noch einmal geht es steil bergan, zur Palastkapelle San Miguel de Lillo, die auf den Betrachter unproportioniert wirkt. Kein Wunder, ist doch ein Teil eingestürzt, weil der nah vorbeifließende Bach das Gelände unterhöhlt hat. Der ursprüngliche Grundriss ist nur noch durch einen Umriss im Gelände erkennbar. Auch das Gotteshaus gehörte wie der „Palast“ zu einem größeren Ensemble von heute nicht mehr erhaltenen Bauwerken.

Der erhaltene Teil der Palastkapelle San Miguel de Lillo.
Geweiht wurde der Kirchenbau im Jahr 748, wie ein heute im Museum von Oviedo aufbewahrter Altar dokumentiert. Innovativ war, dass zum ersten Mal Säulen statt Pfeiler Verwendung fanden, die Kirche eingewölbt und nicht mit einer flachen Holzdecke versehen war.
Der Westbau und das erste Joch sind noch vom Ursprungsbau vorhanden, der Rest wurde aufgrund des Einsturzes des Gebäudes immer wieder verändert.

Grundriss der Palastkapelle. Die erhaltenen Teile sind schwarz gekennzeichnet.
Erhalten ist an der Südseite noch eines der originalen Rundbogenfenster, Transenne genannt, ein aus einem einzigen Stück gefertigtes „Maßwerk“.

Rundbogenfenster mit Maßwerk und Rundbögen.
Ebenfalls im Süden haben sich Reste von Wandmalereien erhalten.
Bemerkenswert sind auch die Reliefplatten in der Portalleibung.

Eine Reliefplatte der Portalleibung.
In drei übereinander liegenden Feldern zeigen sie einen römischen Konsul bei der Eröffnung und der Beendigung von Zirkusspielen, dazwischen eine Szene mit einem Akrobaten, einem Löwen und einem Mann mit Peitsche. Ob es wohl zutrifft, dass ein byzantinisches Elfenbeindiptychon aus dem Jahr 506 Pate gestanden hat, dessen eine Hälfte sich im Musée Cluny in Paris befindet?
Man muss sich die Bauwerke „verdienen“, indem man den Berg erklimmt, aber man wird reichlich belohnt: man spürt Andacht, Respekt, Bewunderung. Vielleicht ist es auch das, was Lessing mit dem „Erhabenen“ meint oder das, was bei Winckelmann mit „edler Einfalt und stiller Größe“ bezeichnet wird.
Alle Fotos und Übersichtszeichnungen von Ulrike Neumann und Wikimedia Commons.


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