Eisen und Brot für die Germanischen Provinzen?

Eine landschaftliche Prospektion in der Nordeifel

Autor: Michael Kuhn M.A.

Bericht über eine Prospektion in der Nähe von Nettersheim.


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„Ab hier fängt es an.“

Felizius Poth bückt sich und klaubt etwas Unscheinbares aus dem Ackerboden. „Das ist ein Stück eines römischen Dachziegels. Ab hier ist das Feld voll davon.“ Er beschreibt mit seinem Arm einen Kreis, der die ungefähre Ausdehnung der Fundstelle andeuten soll.

Wir befinden uns auf einem frisch gepflügten Acker in der Nähe des Eifelortes Nettersheim, einem Hotspot römischer Vergangenheit. Hier nahm einst die Eifelwasserleitung nach Köln ihren Ursprung, wovon noch heute die rekonstruierte Quellfassung, Sickerleitungen und ein Leitungsaufschluss ein beredtes Zeugnis ablegen. Über dem Ort thronen noch heute die Grundmauern eines Matronenheiligtums. Von dort ziehen sich entlang der sichtbar gemachten Römerstraße die Grundrisse mehrerer Streifenhäuser bis in die Talaue der Urft hinab. Dunkle Mauerzüge markieren am Flussübergang die Lage eines spätrömischen Kastells, das die Bewohner des Vicus Marcomagus und den Handel auf der Aprippastraße vor einfallenden Germanen schützen sollte. Ein weiteres Matronenheiligtum befindet sich im Ortsteil Zingsheim und zum Tempelbezirk von Pesch ist es nicht weit. Alte Ackerterrassen, die schon in römischer Zeit angelegt worden sein können, sprechen von einer intensiven landwirtschaftlichen Nutzung.

Vermutliche römische Ackerterrassen bei Nettersheim

Felizius Poth hat es sich seit langen zur Aufgabe gemacht, weitere Relikte der römischen Vergangenheit aufzuspüren. Er studiert alte Karten, durchforscht Internetportale, vertieft sich in wissenschaftlichen Veröffentlichungen, geht Gerüchten auf den Grund und streift unermüdlich durch die Fluren seines Heimatortes. Vieles hat er schon entdeckt und an die Wissenschaft weitergegeben, die seinen Eifer sehr zu schätzen weiß. Aktuell ist er auf der Suche nach landschaftlicher römischer Besiedlung rund um die bisher bekannten Zeugnisse der Antike.

„Schaut euch das an“. Er reicht uns ein glänzendes, unförmiges Gebilde, das sich schwer in der Hand anfühlt. „Das ist römische Schlacke. Die müssen hier neben der Landwirtschaft auch Eisen verhüttet haben. Es gibt hier in der Nähe auch alte Stollen und eingestürzte Abbaustellen (Pingen). Hier gab und gibt es Eisenerz in Mengen. In Jünkerath hat man bis ins letzte Jahrhundert Eisen in großem Umfang hergestellt. Die haben sich damals bloß bedienen müssen.“ Wenig später reicht er uns eine Tonscherbe, die eindeutig aus römischen Zeiten stammen muss. „2. Jahrhundert“, schätzt er fachmännisch. „Das bekommt die Archäologie zur näheren Bestimmung.“

Römische Dachziegelfragmente

Eisenschlacke und Keramikscherbe

Römischer Putzbrocken

Römische Dachziegelfragmente

Eisenschlacke und Keramikscherbe

Römischer Putzbrocken

Wir sind beeindruckt und ein leiser Schauer weht uns an. Hier haben also vor 1800 Jahren Menschen gelebt und gearbeitet. Wer waren Sie und wo kamen Sie her? Leben ihre Nachfahren noch heute in den umliegenden Höfen und Ortschaften? Fragen, die man heute kaum beantworten kann. Uns fallen bei weiterer Betrachtung Unregelmäßigkeiten im Geländeprofil auf, die durchaus auf menschliche Eingriffe wie Terrassierungen zurückzuführen sein können. “Da muss die Archäologie ran“, meint Felizius Poth.

Noch zwei weitere Fundplätze standen auf dem Plan der heutigen Exkursion. Bei einer von beiden fiel wiederum die große Anzahl von Eisenschlacken ins Auge, die weiträumig über den Acker verteilt lagen. Ebenfalls fanden sich Dachziegelbruchstücke und Keramikreste. Am dritten Fundplatz gab es eine Anhäufung von römischen Putzresten, die entweder an Baumaterialien anhafteten oder als größere Brocken verstreut lagen. Was fehlten, waren die Eisenschlacken. Man wurde den Verdacht nicht los, dass hier vor kurzem noch im „römischen Bestand“ gepflügt wurde. „Gott sei Dank ist die Stelle unter Schutz gestellt“, fügt Felizius Poth an. „Hier wird nicht mehr gepflügt.“

Um ein erstes Resümee zu ziehen: Neben der bekannten römischen Hofstelle bei Nettersheim-Roderath, deren Grundmauern zu besichtigen sind, gibt es noch einen Hinweis auf eine andere Fundstelle, die noch untersucht werden muss. Rechnet man die neu prospektierten Flächen hinzu kommt man auf fünf Siedlungsstellen, die im Abstand von ein bis zwei km voneinander entfernt liegen. Dies entspricht ungefähr der Siedlungsdichte eines landwirtschaftlich genutzten Raumes zur römischen Zeit. Von der Beschaffenheit eignen sich die fruchtbaren Braunerden mit Lößeinschlüssen auf den Karstflächen durchaus zur intensiven landwirtschaftlichen Nutzung mit Getreide, Viehhaltung und anderen Feldfrüchten wie Obst und Gemüse. Bei einer angenommenen Bewohnerzahl von ca. 20 – 40 Personen pro Hofstelle (Familie des Grundbesitzers plus Knechte, Sklaven etc.) lässt sich eine Gesamtzahl von ca. 150 Menschen schätzen. Hinzugezählt die Bewohner des Vicus (300-500), ergibt sich eine Gesamtbevölkerung von ungefähr 500-700 Männer, Frauen und Kindern. Deren Bedarf an Lebensmitteln werden die fünf Villae Rusticae mit Sicherheit abgedeckt haben. Ob darüber hinaus Überschüsse für den überregionalen Bedarf erwirtschaftet wurden, hängt von der Kenntnis weiterer Siedlungsplätze ab. Man darf gespannt sein.

Bei der Betrachtung der Roheisenproduktion ergibt sich ein anderes Bild. Die Vielzahl an Eisenschlacken lassen auf eine Masse schließen, die den regionalen Bedarf bei Weitem überstieg. Der Nachweis von Schmelzöfen etc. wird darüber noch mehr Klarheit schaffen. Begünstigt durch die verkehrstechnisch gute Lage an der Agrippastraße von Köln nach Trier, einer der wichtigsten Fernverbindungen im Nordwesten des Imperiums, werden die Roheisenprodukte leicht in alle Richtung verhandelbar gewesen sein.

Insgesamt betrachtet ergibt sich das Bild einer sowohl landwirtschaftlich als auch industriell hochgenutzten Region. Weitere Prospektionen und eventuelle Grabungen werden diesen ersten Eindruck weiter belegen und verstärken. Es braucht auch in der Zukunft vieler Archäologie- und Geschichtsbegeisterter wie Felizius Poth, die in Zusammenarbeit mit der Wissenschaft den Rätseln unsere Vergangenheit auf der Spur bleiben.

2021 MK

Anmerkung der Redaktion: Die Angaben zu den Fundplätzen sind bewusst so vage und allgemein gehalten, dass Raubgräber und Schatzsucher keine Ansatzpunkte für ihr ungesetzliches Treiben finden. Der ungenehmigte Gebrauch von Sonden mit dem Graben nach archäologischen Funden und ungeregelte Bodeneingriffe fügen der archäologischen Kulturlandschaft immensen Schaden zu, weil sie Befunde zerstören oder eine Zuordnung (Fundzusammenhang) unmöglich machen. Wer dieses Hobby ausüben möchte, bedarf einer denkmalrechtlichen Erlaubnis und sollte sich vorab entsprechend informieren. Glücklicherweise werden Verstöße in der Region mittlerweile verstärkt verfolgt und durch polizeiliche Maßnahmen streng geahndet.