Die Neue Altstadt zu Frankfurt

Wiedergeburt nach fünfundsiebzig Jahren

Der Hühnermarkt mit dem Stoltze Brunnen. Das Herz der Neuen Altstadt.

Autor: Michael Kuhn

Der Neubau der Frankfurter Altstadt auf dem Areal des Technischen Rathauses war eines der ambitioniertesten architektonischen Großprojekte der letzten Jahrzehnte. Entgegen dem Trend der Zeit wurde in überzeugender Weise versucht, eines der Denkmäler unserer Vergangenheit neu zu erschaffen.

Wer jemals nach Frankfurt am Main kommt sollte nicht vergessen, einen Rundgang durch diesen „Ort der Geschichte“ zu unternehmen. Es erwarten euch bezaubernd schöne Ausblicke und unvergessliche Begegnungen mit unserer Vergangenheit.


Vollständiger Grabungsbericht als PDF
zum Download (ca. 10 MB)


Als die alliierten Bomber im März 1944 zum letzten Mal ihre tödliche Last abgeworfen hatten, war von der einstmals vielleicht größten und schönsten Altstadt Deutschlands kaum noch etwas übriggeblieben. Spreng- und Brandbomben sowie Luftminen hatten keinen Stein auf dem anderen gelassen. Als der Rauch der Brände sich verzogen hatte, starrten von der einstigen Herrlichkeit nur noch schwelende Trümmer in den Himmel. Die Verwüstung war so gründlich, dass kaum jemand auch nur einen Gedanken darauf verwendete, die alte Pracht und Herrlichkeit wieder aufzubauen.

Das ehemalige Salzhaus mit dem Mosaik aus dem Jahre 1955. Der Phoenix erhebt sich über die Trümmer der zerstörten Stadt.

Nicht nur das: neben den wenigen teilweise erhaltenen Gebäuden (Goethehaus, Hauptwache), die in der Folgezeit durch äußerliche Rekonstruktionen ersetzt wurden, hat man weitere beschädigte Gebäude in der Nachkriegszeit abgerissen, um einer durchgehenden Bebauung im Stil der 50er Jahre Platz zu schaffen. Gründe hierfür waren eine „autogerechte“ Verkehrsplanung mit Parkraum unter dem Römer und der Ausbau des U-Bahnnetzes mit dem Bahnhof Dom/Römer, dem weitere geschichtsträchtige Substanz geopfert wurde. Darunter fiel auch ein Teil der archäologischen Substanz des Areals. Der Rest wurde in den Jahren nach 1953 methodisch ausgegraben und teilweise gesichert. Es kamen römische und karolingische Baureste ans Licht des Tages, die in einem archäologischen Garten gesichert und damit der Öffentlichkeit zugängig gemacht wurden. Der Rest des Areals blieb Brachland, über dessen Verwendung lange gestritten wurde.

Schließlich entstand dort zwischen 1972 und 1974 das Technische Rathaus als Sitz der Stadtverwaltung, dem die letzten fünf alten Häuser der Braubachstraße geopfert wurden. Das riesige Gebäude nahm keine Rücksicht auf die früher dort vorherrschende Kleinteilige Bebauung. Im Jahre 1994 verkaufte die Stadt das Gebäude schließlich an eine Leasing-Gesellschaft, womit der Weg für eine Neugestaltung des Areals gegeben war.

Eine erste größere Rekonstruktion am Römer wurde bereits zu Beginn der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts in Angriff genommen. Zwischen 1981 und 1985 wurden die Ostseite des Römerplatzes aufwändig rekonstruiert. Die Zeile aus Fachwerkhäusern und spätbarocken Steinbauten bildet heute sozusagen das Entrée in die Neue Altstadt.

Die rekonstruierte Ostseite des “Römers”.

Die ersten Planungen für den Wiederaufbau eines Teiles der Altstadt auf dem Gelände des Technischen Rathauses erfolgten zwischen 2004 und 2012. Gleichzeitig wurde bereits 2010 mit den Abbrucharbeiten am Technischen Rathaus begonnen. Im Frühjahr 2013 waren schließlich die Gründungsarbeiten so weit gediehen, dass mit dem Bau der Neuen Altstadt begonnen werden konnte. 35 neue Häuser, darunter 15 originalgetreue Rekonstruktionen und 20 in den Bauformen angepasste Neubauten, waren von renommierten Architekten aus ganz Deutschland entworfen und geplant worden. Am 15. Oktober 2016 wurde das Richtfest gefeiert und erste Baustellen der Öffentlichkeit präsentiert. Am 9. Mai wurden Teile der Neuen Altstadt der Bevölkerung zugängig gemacht und das gesamte Areal vom 28.-30. September mit einem Altstadtfest feierlich eröffnet. An diesen drei Tagen wurden mehr als 250.000 Besucher gezählt.

Das Projekt wurde vielerorts mit Lob überschüttet und die neu entstandene Frankfurter Altstadt gewann 2019 in Cannes den renommierten internationalen MIPIM Award, der besondere Immobilienprojekte würdigt. Es gab und gibt aber auch kritische Stimme zum Bauprojekt, das auf mehr als 200 Millionen Euro veranschlagt wurde. Die Hauptkritik bezieht sich auf die immens hohen Baukosten und der als zu gering erachteten Schaffung neuen Wohnraumes. Diese Wohnungen im Luxussegment seien viel zu teuer konzipiert und nicht auf Mieter oder Eigentümer mit durchschnittlichen Einkommen zugeschnitten worden. Gelobt wird indes die Ansiedlung traditioneller Gastronomie und Einzelhandel. Auch die Kultur kam bei den Planungen mit mehreren musealen Einrichtungen nicht zu kurz.

Im Folgenden soll nun ein kleiner Altstadt-Rundgang einen Eindruck von der wiedererstandenen Pracht der Vergangenheit vermitteln. Beginnen möchte ich am nördlichen Zugang zum Römerplatz.  Dort steht das Salzhaus, dessen neu gestaltete Fassade, über dem Erdgeschoß aus der Renaissance, ein Glasmosaik von Wilhelm Geißler (1895-1979) aus dem Jahre 1955 ziert. Es zeigt den Vogel Phoenix, der sich über die Trümmer der zerstörten Stadt erhebt. Ein Symbol des Wiederaufbaus Frankfurts in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts.

Der Römer.

Von dort geht es weiter zum Gerechtigkeitsbrunnen inmitten des Platzes, der damals wie heute immer noch ein beliebter Treffpunkt der Frankfurter Bevölkerung ist. Wir schauen auf den Römer, seit 1405 das Rathaus der Freien Reichsstadt und späteren Krönungsstadt der deutschen Könige und Kaiser. Im 16. und 17. Jahrhundert wurde der Platz als der „Schönste Platz des Heiligen Römischen Reiches“ gepriesen. Die Ostseite bildet die Zeile mit den in den 80er Jahren rekonstruierten historischen Bauten.

Rotes Haus mit der Pergola, die das Laufniveau des Königsweges vom Römer zum Dom darstellen soll.

Wir betreten die Neue Altstadt über den Markt-Krönungsweg, der den Römerplatz mit dem Dom verbindet. Eine Mauer mit Pergola soll das ehemalige Laufniveau darstellen, das an dieser Stelle einst ca. zwei Meter über dem heutigen lag. Direkt ins Auge fällt das Haus „Zu den drei Römern“ mit den Schauseiten zum Römerberg, Markt und zur Gasse Hinter den Lämmchen. Vorbei an rekonstruierten Bauten (verputzte Fachwerkbauten vom 17. bis zu spätbarocken, klassizistischen Bauten des 18./19. Jahrhunderts) und den in ihren Bauformen angepassten Neuschöpfungen geht es zum Hühnermarkt, dem Herzstück der Neuen Altstadt. Eine Büste auf dem Platz weist auf den Frankfurter Schriftsteller und Mundartdichter Friedrich Stoltze (1816-1891) hin, der im nahen Rebstock-Ensemble das Licht dieser Welt erblickte. An der Rückseite des Platzes (Hinter dem Lämmchen 1-4) sieht man das Struwwelpeter Museum. Es ist dem Frankfurter Arzt und Psychologen Heinrich Hoffmann gewidmet, der 1845 das schon damals umstrittene Kinderbuch veröffentlichte, das noh heute die Gemüter scheidet. Hoffmanns teils grausamen Zeichnungen und Inhalte werden heute als pädagogisch nicht mehr angemessen bewertet. Trotzdem gehören „Hans guck in die Luft“, der „Suppenkaspar“ und andere Figuren des Buches zum literarischen Erbe eines gut gemeinten, wenn auch drastischen und nicht mehr zeitgemäßen Erziehungsprojektes.

Das Struwwelpeter Museum am Hühnermarkt.

Schmale Durchgänge schaffen unvermittelte Ausblicke in schattige Innenhöfe, die von Arkaden und Treppenaufgängen geprägt sind. Weiter geht es zum Dom und vorbei am Haus Großer Rebstock. Der erstmals 1342 erwähnte Neubau beherbergt heute im Erdgeschoß den östlichen Zugang zum U-Bahnhof Dom/Römer.

Bauen mit Zitaten. Alte Bauteile an neuer Stelle.

Direkt am Dom stehen wir vor der Goldenen Waage, der teuersten Rekonstruktion des gesamten Ensembles. Alleine diese aufwändige Rekonstruktion soll mehr als 16 Millionen Euro verschlungen haben. Das innere des prachtvollen, dreigeschossigen Fachwerkbaus beherbergt ein stilvolles Café, das Historische Museum und das Stoltze-Museum. Ein Besuch des Frankfurter Doms und ein Stück Kuchen im Café der Goldenen Waage rundet den Besuch der Neuen Altstadt ab.

Die neu erstandene “Goldene Waage”.

Zurück geht es dann über den überdachten Archäologischen Garten, Hühnermarkt, die Gasse Hinter den Lämmchen oder auch die Braubachstraße zurück zum Ausgangspunkt unserer Wanderung.

Bericht