Immer mehr dem Himmel entgegen

Die Geschichte des Kirchbergs in Aachen-Laurensberg

Autor: Dietmar Kottmann

Dieser Artikel zeigt die Entwicklungsgeschichte des Laurensberger Kirchberg in Aachen.
Laurensberg ist seit den 70ger Jahren ein Stadtteil Aachens. Der Kirchberg selber ist eine von allen Seiten wahrnehmbare Landmarke.


Vollständiger Artikel als PDF
zum Download (ca. 2 MB)

Die Laurensberger Pfarrkirche ist schon aufgrund ihrer wahrlich erhabenen Lage eine von allen Seiten wahrnehmbare Landmarke, deren Wirkung Prof. Joseph Buchkremer bei der Erneuerung und Vergrößerung des Langhauses im 2. Jahrzehnt des 20. Jhd. im Prinzip nicht beseitigt, sondern noch gesteigert hat1Es fällt auf, dass für die Standorte der alten Pfarrkirchen stets erhöhte Standorte gewählt worden sind. Das gilt zunächst für Laurensberg und Würselen, aber auch für Vaals, Burtscheid und Forst.. Die landschaftlich do- minierende Lage wird heute im Nahbereich wegen der inzwischen geschlossenen Bebauung und der hoch geschossenen Gartenbäume nicht immer deutlich. Ehemals war St. Laurentius aber von ganz Laurensberg aus sicht- bar, es sei denn, man schaute von einem abgewandt liegenden Hang oder Tal in Richtung Laurensberg. Der Aachener Talkessel, in dem von Westen her noch Höhenzüge wie die Burtscheider Höhe, der Markthügel und die Hörn hineinragen und in dem der Lousberg als Riedel stehen geblieben ist, weist nach Norden hin eine lang gezogene Hangkante von etwa 200 m NN auf, die sich über den Herzogsweg, die Laurentiusstraße, den Landgraben und die Berensbergerstraße bis zum Paulinenwäldchen hin erstreckt.

Aus dieser lang gezogenen Hangkante ragt der Kirchberg punktuell um 15-20 m heraus. Vermutlich ist die Anhöhe im Kern geologisch2S. Karten des Geologischen Landesamtes 1:100.00 und 1:50.000 bedingt, hat aber irgendwann Aufhöhungen von 3-5 m Metern erfahren. Diese ergaben sich zunächst aus der immer wieder veränderten Ausgestaltung eines paganen und in der Folge christlichen Kultplatzes. Im Mittelalter und in früher Neuzeit war er zudem das gut zu verteidigende Dorfzentrum der Gemeinde.

Abb. 1 Ausschnitt des Aachener Stadtplans von 1928 1: 5.000

Der Fund des zeichnerisch dokumentierten, aber im II. Weltkrieg verschwundenen Viergöttersteins als Basis einer römischen Jupitersäule könnte Bestandteil eines kleinen Kultbezirks am Rande des Weges vom römischen Aachen über CORIOVALLUM (Heerlen) nach VETERA (Lager beim heutigen Xanten) gewesen sein. Es gibt zwar keinen archäologischen Nachweis des römischen Kultplatzes gerade an dieser Stelle. Im weiten Umkreis gibt es aber keinen anderen Platz, der für römisch-kultische Zwecke so prädestiniert gewesen wäre wie dieser.

Die erste Kirche in karolingischer Zeit mag ein einschiffiger kleiner Holzpfostenbau ohne Turm gewesen sein. Bis zum 13. Jh. muss er aber schon längst in Stein erneuert und mit einem Turm versehen worden sein, da 1284 in erzählenden Quellen (Jan Heelu) vom Abbrennen der Kirchtürme von Laurensberg und Haaren die Rede ist.3S. Peter Bertram, Die Eroberung der Kirchtürme von Laurensberg und Haaren im Sommer des Jahres 1284, in: Laurensberger Heimatblätter Heft 1. (1995)

1602 ist die erfolgreiche Verteidigung des Kirchberges gegen den Plünderungs- und Besetzungsversuch einer Kompanie spanischer Soldaten im Tagebuch des Stadtsyndikus Klöcker verzeichnet.4S. Dietmar Kottmann, Die Schützen und ihre Entstehung, in: Laurensberger Heimatblätter Heft 4/5 (2004)

Abb. 2. Ausschnitt aus einem Repro der Flurkarte von Scholl (Original im WK II zerstört)

Der von mir nachbearbeitete, hier wieder gegebene Aus schnitt aus der Flurkarte von Reiner Joseph Scholl (1760) enthält zwar keine Höhenlinien. Man hat aber den Eindruck, dass Gut Kamp und die Kirche gemeinsam auf dem ebenen Plateau des Kirchberges stehen, zu dem – ähnlich wie auf dem kleineren Ausschnitt der Karte von 1928 dar- gestellt – die Zuwegung von Westen her südlich um den Kirchberg herum erfolgt (Höhe 210 m NN). Der Zugang von der Pannhauserstrasse stellt sich eher als Zugang zu Gut Kamp dar.

Abb. 3, verkleinerter Ausschnitt zu Abb. 1

Anders als bei den meisten Kirchen liegt der Eingang zu Alt-St. Laurentius nicht im Westen. Das Langhaus hatte die gleiche Breite wie der Kirchturm, dessen im Erdgeschoss 2m dicken Mauern keinen Durchgang enthalten.

Der Turm weist nur einen schmalen Zugang an der Südseite mit der Bauinschrift von 1482 auf. Soweit man dies nach älteren Darstellungen der Kirche beurteilen kann, befand sich der Zugang zum Kirchenschiff an der Südseite etwa da, wo sich auch heute ein zweiflügeliges Portal befindet. Man spürte in früheren Jahrhunderten daher wohl auch kein Bedürfnis, einen direkten Zugang von der steilen Westseite her zu nehmen.

Auf diesem Kartenausschnitt sehen wir westlich vor der Kirche ein kleines Nebengebäude und mit der Hausnummer 37 ein weiteres Gebäude an der Stelle, an der nachträglich eine Auffahrt zur Kirche angelegt worden ist. Es könnte das ehemalige Küsterhaus gewesen sein, über dessen Geschichte Peter Bertram in der ausführlichen Beschreibung des Kirchberges viel Material zusammengestellt hat. Das ursprüngliche Küsterhaus wird urkundlich am 11.10.1603 bei einem Verkauf einer Rente von 15 Talern “aus Haus, Hof und Erb an der Linde zu Laurensberg ” erwähnt. Die Benennung als das “alt Costershausgen” ist aus einem Verkauf vom 8.7.1676 überliefert5Peter Bertram, Wanderungen Ziff. 8.9. in Laurensberger Heimatblätter Heft 2/3.

Peter Bertram geht dabei auch auf die Geschichte des Gutes Kamp ein. Seinen Ausführungen im Zusammenhang mit der urkundlichen Erwähnung der „ecclesia ad antiquum campum“ möchte ich in diesem Beitrag nicht folgen6S. dazu meine Ausführungen in diesem Heft im Beitrag zur Geschichte unserer Pfarrkirche. Zu den von Josef Liese berichteten römischen Spuren unter Gut Kamp konnte oder wollte Peter Bertram sich selbst nicht äußern. Helmut Schanze berichtete in seinem Vortrag vor den Heimatfreunden über karolingische Spuren. Ich zitiere aus seinem unveröffentlichten Manuskript:

„Ein Teil der Mauern, zur Kirche hin und innen, waren nachweislich älter. An diesen Mauern, die bis zu 60 cm dick waren, konnte der Fachmann roten Mörtel ausmachen, wie schon beim Neubau der Kirche in den dortigen Grundmauern. Er ließ auf die karolingische Zeit schließen.“ Mit dem Fachmann war Dr. Frebel vom Rheinischen Amt für Denkmalpflege beim LVR gemeint, der als Bauzeit der Hofanlage „8. bis 18. Jh.“ angab7Helmut Schanze, Unveröffentlichtes Manuskript S. 4. Damit ist noch nicht gesagt, ob es sich um Mauern eines karolingischen Nebenhofes der Pfalz Aachen oder eines alten Gutes Kamp handelte. Darauf werden wir noch in unserem Beitrag zur Urkunde vom 17.10.1870 zurückkommen.

Abb. 4, Zeichnung des Schützenschildes aus der Schützenfestschrift 1927

Bei der im 13. Jh. vorkommenden Aachener Familie de Campo zitiert Bertram die Vermutung von Quix, dass diese vom Gut Kamp stammen könnten8Peter Bertram, Wanderungen Ziff. 8.8. in Laurensberger Heimatblätter Heft 2/3. Gegen Ende des 17. Jh. werden die Eigentümer von Gut Kamp jedoch klar fassbar. Der Aachener Baumeister Mostart musste von diesem Gut 1693 Kirchenöl für St. Laurentius im Wert von 7½ Aachener Mark zahlen. Er hatte das Gut wohl gerade erworben. Nach Tille – Krudewig ruhte eine entsprechende Belastung auf Gut Kamp, deren Umfang und vor allem deren Erfüllung unter den Voreigentümern unklar war.  Mostart verständigt sich deshalb mit der Kirche darauf, künftig 16 Aachener Gulden jährlich zu zahlen. Dieses Recht sollte zusätzlich als Belastung auf seinem Gut Langohr abgesichert werden. Die Kirche verzichtet dafür auf etwaige noch offene Rückstände. Ihm wird aber bescheinigt, dass er sich „in erbauung des kirchenthores, sakristei, portal, küsterei und sonsten auch bei e.e. rath zu Aach in vielen sehr befürderlich erwiesen“9Armin Tille/Johannes Krudewig, Übersicht über die kleineren Archive der Rheinprovinz, Bd. II, Köln 1904, S. 327 habe. Da das „portal“   gesondert   erwähnt   ist, muss es sich beim „kirchenthor“ in der damaligen Schreibweise um den Turm der Kirche handeln. Eine Generation später befindet sich das Gut im Besitz der Familie Teilen. 1774 ist Wilhelm de Bennet Eigentümer.

Wilhelm von Bennet wurde 1778, 1784 und 1785 Schützenkönig der St. Laurentius-Schützenbruderschaft und damit auch Schützenkaiser. Sein Schützenschild, das eine Darstellung des Pfarrpatrons als Märtyrer zeigt, ist über- liefert. Das Attribut „de“ zu seinem Namen ist in den Aufzeichnungen der Schützen als „von de“ gedoppelt. In der Schützenfestschrift von 1927 ist angemerkt, dass der damalige Schreiber sich nach dem Schriftbild offensichtlich schwer mit den Eintragungen in die Bücher der Bruderschaft getan hat10Festschrift „Die St. Laurentius Schützenbruderschaft zu Laurensberg 1602 – 1927“, S. 46. Von 1800 bis 1802 war de Bennet Maire (Bürgermeister) der Gemeinde als Nachfolger des Pfarrers Bräder. 1794 war Pfarrer Bräder den Franzosen anscheinend als die einzige Person in Laurensberg erschienen, der man auch die Verwaltung der politischen Gemeinde als Maire zutraute. In den „Ordonnantien“ der Schützenbruderschaft ist verzeichnet, dass sich ihr Stammlokal im Hofe “ajene Kamp” befinde. Bis zum Bau des Sandhäuschens befanden sich auf Gut Kamp Schankräume, Gästezimmer und eine Kegelbahn sowie in der Nähe eine Schützenstange. Die Funktion eines nahe bei der Kirche gelegenen Gasthauses hatte das Gut Pannhaus da schon längst aufgegeben. Dass bei Gut Pannhaus diese Funktion im Mittelalter bestanden hat, ist archäologisch durch die beim Ausbau der Pannhauserstraße gefundenen mittelalterlichen Schank- bzw. Trinkgefäße belegt11S. unseren Bericht in der Festschrift zum Jahre 2015 „Fund von elf Gefäßen des 13. Jhs. in der Pannhauser Straße, Aachen-Laurensberg“ Laurensberger Heimatblätter Heft 6/7, S. 95 ff.. Mit dem Bau des Sandhäuschen blieb eine alte soziale Regel bestehen, wonach sich die Kirche mitten im Dorfe befinden soll und nahe dabei der Dorfkrug. Übrigens bewohnte unser schon lange verstorbenes Beiratsmtglied Klaus von Schwartzenberg mit seiner Familie Gut Kamp vor der Umwandlung des Gutshofes zu Wohnzwecken.

Abb. 5. Zeichnung des Arch. Krause von Alt-St.Laurentius

Den westlichen Teil des Gutes erwarb die Pfarrgemeinde, um eine neue Auffahrt anlegen zu können. Die Auffahrt erspart älteren, behinderten und kranken Pfarrangehörigen den mühsamen Aufstieg über die Treppen und wurde 1977 fertig gestellt. Der dazu nicht benötigten Westflügel des Gutes wurde verkauft und ebenfalls zu Wohnzwecken umgebaut12S. die ausführlicheren Darstellungen bei Peter Bertram a.a.O. Ziff. 8.8.

Der aktuelle Laufhorizont von Gut Kamp ist deutlich niedriger als der der Pfarrkirche und des Kirchhofes. Das legt die Annahme nahe, dass das Gelände um die Kirche herum in den letzten zweieinhalb Jahrhunderten um mehrere Meter aufgeschüttet und angehoben worden ist. Über die Schadenfeuer der 1705, 1741 und 1780 berichtete der Pfarrer Arnold Jakob Nikolaus van Goer de Herve in dem von ihm angelegten Liber Pastoralis (Pfarrbuch). 1705 brannte der Turm nach einem Blitzeinschlag völlig aus. Die Glocken waren unbrauchbar geworden. Bei einem Blitzeinschlag im Jahre 1741 wurde nur das Kreuz vom Dach des Turmes heruntergeworfen und stürzte in das Gebälk des Kirchenschiffs. Beim Brand der Kirche im Jahre 1780 wurde das Kirchenschiff völlig zerstört. Nur der Chor mit dem Altar war verschont geblieben. Für die Kosten der Erneuerung der Kirche oder zumindest der Behebung der Schäden musste der Inhaber des sog. kleinen Zehnten Dr. jur. Wolff eingestehen. Dieser wollte sich aber die Kosten der Beseitigung des Brandschutts sparen und ließ diesen einfach einplanieren. Unbekannt ist, ob der Bauschutt auch außerhalb der von der Kirche überbauten Fläche verteilt worden ist. Jedenfalls wurde das Niveau des Kirchschiffs um 2 m erhöht. Dr. Wolff weigerte sich zudem, die Mittel zur baulichen Anpassung des Altarraumes bereit zu stellen13Pfarrer Hubert Korr, Die Laurensberger Kirche brennt, in: Festschrift „Freiwillige Feuerwehr der Stadt Aachen – Löschzug Lau-rensberg 1874 – 1974, Laurensberg 1974. Pfarrer Dr. Johannes Pschmadt schrieb in der Schützenfestschrift 1927: „Die Folge dieser Weigerung war, dass der Altar so tief unter dem Niveau des Kirchenbodens stand, dass der amtierende Priester fast ganz verschwand.“ Pfarrer Bräder sprach mit ätzendem Spott von einer „Wolffsgrube“ für die Geistlichen. Widerwillig wurde dann auch der Boden im Chorraum aufgefüllt, wodurch dieser nach Bräders Empfinden so niedrig geriet wie ein Backhaus14Johannes Pschmadt, Aus der Geschichte Laurensbergs, in Schützenfestschrift 1927, S. 24.

Abb. 6. Vom Verfasser bearbeiteter Grundriss Buchkremers für die neue Kirche

Auf der Zeichnung von Alt-St. Laurentius des Architekten Krause von 1910 für das von Paul Clemen herausgegebene und von Reiners bearbeitete Denkmälerverzeichnis des Kreises Aachen scheint noch ein geringerer Höhenunterschied zwischen der Kirche und Gut Kamp zu bestehen.

Wir haben keinen vermassten Grundriss von Alt-St. Laurentius, so wie er sich nach der Behebung der schweren Brandschäden von 1780 dargestellt hat. Den aus der etwas jüngeren Copso – Karte ablesbare Umriss habe ich frei geschätzt auf der vorstehenden Abbildung in den Buchkremerschen Plan hineinprojiziert. Wichtig ist hierbei die 1910 erfolgte enorme Erweiterung des Kirchenbaus nach Norden.

Abb. 7. Foto von Alt-St. Laurentius (Sammlung Heimatfreunde)

Meine am Tag des offenen Denkmals 2020 geäußerten Vermutungen über Niveauänderungen machten sich auch an der mächtigen Stützmauer des alten Kirchhofes fest. Diese wird in regelmäßigen Abständen durch Lisenen verstärkt, in deren oberes Drittel wohl schon zur Bauzeit barocke Grabkreuze von aufgelassenen Grabstätten eingefügt sind. Dieser Zustand besteht heute noch, bestand aber – wie ich nun in einem älteren Foto herausgefunden habe – auch schon vor dem Umbau der Kirche durch Buchkremer.

Vermutungen zu Aufhöhungen des Kirchberges könnten in Buchkremers Zeiten verweisen, da er zur Erweiterung der Kirche nach Norden hin zwei weitere Kirchenschiffe geplant hatte. Die Optik nach Süden und Norden veränderte sich dadurch kaum. Aber dafür musste der nördliche Teil des Kirchhofes aufgelassen und überbaut werden. Der Flächenverlust auf dem Kirch- bzw. Friedhof musste ausgeglichen werden, was nur nach Süden hin möglich war. Im dortigen Abhang grenzte eine Kuhwiese an den Kirchhof. Die vielen alten Fotos und Gemälde, die wir von St. Laurentius und dem Kirchberg kennen, datieren alle aus der Zeit um 1900 und später. Auch die wenigen Fotos der alten Kirchen zeigen bereits die hohe Stützmauer zwischen Wiese und Kirchhof (s.o.).

Die älteste uns bekannte naturalistische Darstellung ist von der Hand des Malers Hermann Killian, der wohl aus Rheydt stammte und nur in der Zeit von 1898 bis 1912 in Aachen nachweisbar ist15Angaben nach dem nichtveröffentlichen Aachener Künstlerverzeichnis von Christoph Spuler; s.a. Franz Erb, Original und Reproduktion – Aachener Ansichten von Hermann Killian und ihre Vervielfältigung auf Aachener Postkarten, Aachen 1991. Auf einer seiner beiden bekannten Darstellungen unserer Pfarrkirche aus südwestlicher Sicht scheint die Stützmauer noch zu fehlen. Bei Killians bekannten Lebensdaten belegt das aber keinesfalls ein   Datum „post quem“, d.h. nach dem die Stützmauer gebaut worden ist. Der wiedergegebene Eindruck ist eher künstlerische Impression.

Abb. 8, Foto des Gemäldes von Herrmann Kilian

Am Tag des offenen Denkmals 2020 haben wir auch die Mauerabdeckung aus Sandstein inspiziert, in der sich viele tiefe Kratzspuren befinden, die nach der Überlieferung beim Nachspitzen und Schleifen der Griffel ergaben, mit denen die Schüler der alten Volksschule Laurensberg ihr Schreibgerät funktionstauglich hielten. Die Schule ist bereits um 1880 in den Neubau am Vetschauer Weg verlegt worden. Die Verwendung von Schiefertafeln war noch bis in die 50er Jahre in den ersten Klassen üblich. Ein erster Schulbau entstand in den Jahren 1807-1809 unter Pfarrer Bräder als westlicher Anbau an den Turm von St. Laurentius. In der Überlieferung stammte das Baumaterial von der verfallenden Kapelle Unserer Lieben Frau an der Rast, die noch in einer Hopelskarte der Herrschaft Schönau16Landmesser Hopels, 1952, Grenzkartierung Reichsherrschaft Schönau, Reichsstadt Aachen, Heydener Ländchen, Landesarchiv Duisburg, digitalisiert: 2018/01711 von 1752 mit einem Kapellensymbol und dem textlichen Zusatz kartiert ist, dass diese sich 264 Fuß südlich der Kreuzung Laurentiusstraße mit der Karl-Friedrichstraße befunden habe. Der ehemalige Gemeindediener Jungen hatte bezeugt, dass die vermutlich aus Vetschauer Mergel errichtete Kapelle für den Schulbau verwandt worden sei17S. Peter Bertram, Die Bronk – Ein Beitrag zu Geschichte der Prozessionen, in: Laurensberger Heimatblätter Heft 4/5. (2004), S. 220.

Abb. 9. Foto der alten Linde (Sammlung Heimatfreunde)

Der Anbau wurde später noch zwei Mal mit frisch gebrochenem Mergelsteinen erweitert, bevor um 1880 die neue Schule am Vetschauer Weg er- baut wurdeHannelore Zowislo-Wolf, Von der Pfarrschule zur Gemeinschaftsgrundschule Laurensberg – Ein Kapitel Schulgeschichte, in: Laurensberger Heimatblätter Heft 1. (1995), S. 74. Die zwei Bauphasen der Schule auf dem Kirchberg, d.h. der Vergrößerung des Anbaus sind heute noch deutlich an einer Baunaht in der Südfassade ablesbar. Die Griffelspuren müssen deshalb aus den ersten beide Dritteln des 19. Jh. stammen.

Vor vielen Jahren hielt ich den aktuellen Laufhorizont des Kirchberges allein wegen der Linde für ursprünglich. Der jetzige Baum ist allerdings erst vor gut 50 Jahren als Ersatz für die alte Linde (Bild s.o.) gepflanzt worden, nachdem diese in den Dezemberstürmen des Jahres 1962 auseinandergebrochen war. Der alte Baum, der zuweilen als 1000-jährige Linde18Hans-Joachim Fröhlich, Wege zu alten Bäumen – Bd. 4 Nordrhein-Westfalen, Frankfurt a/M 1992 S. 119, Nr. 132 gibt in dem 300 Bäume in ganz NRW erfassenden Bändchen für die Forster Linde an: Alter: 800 Jahre; Höhe: 23 m; Krone: 23 m; Umfang: 1000 cm; Besonderheit: der Stamm teilt sich in 2 m Höhe in 5 Arme auf, weit ausladend, ausgemauert, Gerichtsbaum, Winter-linde; die alte Laurensberger Linde war eher mit der Kalkarer Gerichtslinde vergleichbar, für die der v.g. Baumführer angibt: Gerichtslinde; Höhe 14 m; Umfang 280 cm; Besonderheit: Marktplatz beherrschend; Krone ausgebrochen; die Anpflanzung der Kalkarer Gerichtslinde ist urkundlich auf das Jahr 1545 datiert (https://rp-online.de/nrw/staedte/kleve/kalkars-gerichtslinde-ist-ein-uralt-baum_aid-20426037); das Alter der Laurensberger Linde lag irgendwo dazwischen; höchstens aber bei 600 Jahren. apostrophiert wurde, stand etwa auf gleichem Niveau. Das Attribut „1000jährig“ wurde in den 30er Jahren gern verwandt. Der Vorgänger hatte aber bei weitem nicht die Mächtigkeit der Forster Linde, die etwa 10m Stammumfang misst. Der Laurensberger Baum sollte also nicht als Beleg für das Alter des aktuellen Laufhorizontes angesehen werden, da es durchaus denkbar ist, dass die Linde schon früher einmal durch einen jüngeren Baum ersetzt wurde – und sei es bei der Veränderung der Flächen des alten Kirchhofes. Seit dem 17. Jh. ist bei der Kirche eine Linde sicher urkundlich bezeugt19Peter Bertram, Wanderungen Ziff. 8.9. in Laurensberger Heimatblätter Heft 2/3. Pfarrer Korr berichtet in seinem Beitrag über die Brände des 18. Jh. auch, dass man 1963 das Wurzelwerk der vom Sturm zerbrochenen Linde beseitigt habe und dass man dabei auf Brandschutt gestoßen sei. Dieser könne auch von älteren Bränden gestammt haben, vermutet er, da der Brandschutt von 1780 ja zur merkwürdigen Anhebung des Bodens des Kirchschiffs einplaniert worden sei20S. Pfarrer Hubert Korr a.a.O..

Der Kirchenbau von Alt-St. Laurentius ist stets so bescheiden gewesen, dass man kaum echte Romanik, Gotik und Renaissance vorfinden könnte. Bei den vielen eingemauerten Bauresten der alten Kirche fand Buchkremer aber außer einigen gotischen Maßwerkteilen auch sieben Bruchstücke eines schönen romanischen Taufsteins, wie er als Typus im Rheinland verbreitet sei21Joseph Buchkremer, Altertumsfunde ZAGV Bd 42, S. 344. Nach den Formen zu urteilen, gehöre er der großen Gruppe ähnlicher Taufsteine an, wie sie am ganzen Niederrhein vorkämen. Auch der Taufstein der Taufkapelle des Aachener Münsters zeige große Ähnlichkeit. Der obere Teil, das eigentliche Becken, sei kreisförmig und habe vier Eckköpfe und sei an seiner Wulstfläche mit Drachengestalten und Ornamenten verziert. Der untere Teil sei von vier Säulchen umstellt, die durch aufgebogene Lappen mit den vier Köpfen zusammenhingen. Alle diese charakteristischen Teile könne man noch an den sieben Resten des Laurensberger Taufbeckens wahrnehmen. Auf dem größten Stück sei ein Drache zu erkennen, dessen Schwanz sich mit ganz symetrisch gebildeten Tier durcheinander winde. Ein anderer Rest zeige den Oberkörper eines Tieres, aus dessen Maul ein romanisch stilisiertes Laubwerk herauswachse. Das Material sei hiesiger Blaustein22Der Grabungsbericht von Joseph Buchkremer ist gedruckt in „Altertumsfunde“ ZAGV Bd 42, S. 344. Auch die Reste des Taufsteins sind im II. Weltkrieg verloren gegangen.

Buchkremer, dessen Quasi-Doktorarbeit Johann Joseph und Jakob Couven gewidmet war23Josef Buchkremer, Die Architekten Johann Joseph Couven und Jakob Couven, in ZAGV Bd 17 (1895), S. 89-210; Buchkremer wurde Professor der RWTH, ohne zuvor promoviert zu haben; damals hatte die RWTH noch kein Promotionsrecht, hat mit dem Neubau von St. Laurentius den Barock in Aachen wieder populär und modern gemacht – übrigens gegen nachhaltige Widerstände in dem damals noch zuständigen Kölner Generalvikariat.

Von der Familie des Bürgermeisters von Fisenne ist eine neogotische Grabstele am Ostchor der Kirche aufgestellt, zu deren Gestaltung möglicher weise der Neffe Lambert von Fisenne (1853 – 1903) beigetragen hat, der in jenen Jahren ein Architekturstudium am Aachener Polytechnikum begonnen hatte.

  • 1
    Es fällt auf, dass für die Standorte der alten Pfarrkirchen stets erhöhte Standorte gewählt worden sind. Das gilt zunächst für Laurensberg und Würselen, aber auch für Vaals, Burtscheid und Forst.
  • 2
    S. Karten des Geologischen Landesamtes 1:100.00 und 1:50.000
  • 3
    S. Peter Bertram, Die Eroberung der Kirchtürme von Laurensberg und Haaren im Sommer des Jahres 1284, in: Laurensberger Heimatblätter Heft 1. (1995)
  • 4
    S. Dietmar Kottmann, Die Schützen und ihre Entstehung, in: Laurensberger Heimatblätter Heft 4/5 (2004)
  • 5
    Peter Bertram, Wanderungen Ziff. 8.9. in Laurensberger Heimatblätter Heft 2/3
  • 6
    S. dazu meine Ausführungen in diesem Heft im Beitrag zur Geschichte unserer Pfarrkirche
  • 7
    Helmut Schanze, Unveröffentlichtes Manuskript S. 4
  • 8
    Peter Bertram, Wanderungen Ziff. 8.8. in Laurensberger Heimatblätter Heft 2/3
  • 9
    Armin Tille/Johannes Krudewig, Übersicht über die kleineren Archive der Rheinprovinz, Bd. II, Köln 1904, S. 327
  • 10
    Festschrift „Die St. Laurentius Schützenbruderschaft zu Laurensberg 1602 – 1927“, S. 46
  • 11
    S. unseren Bericht in der Festschrift zum Jahre 2015 „Fund von elf Gefäßen des 13. Jhs. in der Pannhauser Straße, Aachen-Laurensberg“ Laurensberger Heimatblätter Heft 6/7, S. 95 ff.
  • 12
    S. die ausführlicheren Darstellungen bei Peter Bertram a.a.O. Ziff. 8.8
  • 13
    Pfarrer Hubert Korr, Die Laurensberger Kirche brennt, in: Festschrift „Freiwillige Feuerwehr der Stadt Aachen – Löschzug Lau-rensberg 1874 – 1974, Laurensberg 1974
  • 14
    Johannes Pschmadt, Aus der Geschichte Laurensbergs, in Schützenfestschrift 1927, S. 24
  • 15
    Angaben nach dem nichtveröffentlichen Aachener Künstlerverzeichnis von Christoph Spuler; s.a. Franz Erb, Original und Reproduktion – Aachener Ansichten von Hermann Killian und ihre Vervielfältigung auf Aachener Postkarten, Aachen 1991
  • 16
    Landmesser Hopels, 1952, Grenzkartierung Reichsherrschaft Schönau, Reichsstadt Aachen, Heydener Ländchen, Landesarchiv Duisburg, digitalisiert: 2018/01711
  • 17
    S. Peter Bertram, Die Bronk – Ein Beitrag zu Geschichte der Prozessionen, in: Laurensberger Heimatblätter Heft 4/5. (2004), S. 220
  • 18
    Hans-Joachim Fröhlich, Wege zu alten Bäumen – Bd. 4 Nordrhein-Westfalen, Frankfurt a/M 1992 S. 119, Nr. 132 gibt in dem 300 Bäume in ganz NRW erfassenden Bändchen für die Forster Linde an: Alter: 800 Jahre; Höhe: 23 m; Krone: 23 m; Umfang: 1000 cm; Besonderheit: der Stamm teilt sich in 2 m Höhe in 5 Arme auf, weit ausladend, ausgemauert, Gerichtsbaum, Winter-linde; die alte Laurensberger Linde war eher mit der Kalkarer Gerichtslinde vergleichbar, für die der v.g. Baumführer angibt: Gerichtslinde; Höhe 14 m; Umfang 280 cm; Besonderheit: Marktplatz beherrschend; Krone ausgebrochen; die Anpflanzung der Kalkarer Gerichtslinde ist urkundlich auf das Jahr 1545 datiert (https://rp-online.de/nrw/staedte/kleve/kalkars-gerichtslinde-ist-ein-uralt-baum_aid-20426037); das Alter der Laurensberger Linde lag irgendwo dazwischen; höchstens aber bei 600 Jahren.
  • 19
    Peter Bertram, Wanderungen Ziff. 8.9. in Laurensberger Heimatblätter Heft 2/3
  • 20
    S. Pfarrer Hubert Korr a.a.O.
  • 21
    Joseph Buchkremer, Altertumsfunde ZAGV Bd 42, S. 344
  • 22
    Der Grabungsbericht von Joseph Buchkremer ist gedruckt in „Altertumsfunde“ ZAGV Bd 42, S. 344
  • 23
    Josef Buchkremer, Die Architekten Johann Joseph Couven und Jakob Couven, in ZAGV Bd 17 (1895), S. 89-210; Buchkremer wurde Professor der RWTH, ohne zuvor promoviert zu haben; damals hatte die RWTH noch kein Promotionsrecht