Auf  Leben und Tod!

Ein Besuch des Regensburger Stadtparks, dem ehemaligen Lazarusfriedhof

Autorin: Katharina Lenz

Geschichte des Lazarusfriedhofs in Regensburg


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Auf Leben und Tod!

Die wechselvolle Geschichte des Regensburger Lazarusfriedhofs

Wie verändert eine Seuche das Gesicht einer Stadt. Das ist nicht nur heute ein interessanter Prozess, den wir alle gerade erleben. Dies war in historischen Zeiten nicht anders. Beredtes Zeugnis davon legen die Friedhöfe einer Stadt ab, ganz besonders in einer so traditionsreichen Stadt wie Regensburg. Die alte Römerstadt und mittelalterliche Metropole hat mit dem heutigen Stadtpark, dem einstigen Lazarusfriedhof ein ganz besonders Denkmal dieser Art in ihren Mauern aufzuweisen.

Der Lazarus-Friedhof ist noch viel älter als man gemeinhin liest, dass er der erste protestantische Friedhof der Stadt Regensburg nach der Reformation sei. Eigentlich geht er auf eine Stiftung des reichen und deshalb sehr um sein Seelenheil besorgten Regensburger Patriziers Heinrich Zandt zurück, der dort um 1296 ein Leprosorium, also ein Siechenhaus für Aussätzige stiftete und mit großen Geldsummen unterhielt.

Regensburg hatte um 1300, zur Hochzeit der Lepra in Europa, übrigens zwei derartige Siechenhäuser, neben St. Lazarus im vor den Stadtmauern im Westen auch St. Nikola im Stadtosten, das von den Schwestern von Niedermünster betreut wurde. Auch in Stadtamhof gab es bei St. Mang ein derartiges Leprosorium. Diese Häuser mit Krankensaal und Wohnhäusern für die Ausgestoßenen, die oft Jahrzehnte dort lebten, besaßen immer auch eine eigene Kapelle und einen eigenen Friedhof. Der von den Toten auferstandene bzw. der arme Bettler Lazarus aus der Bibel war dabei wie der Hl. Nikolaus meist der Kirchenpatron dieser Gotteshäuser. Insgesamt lagen die Siechenhäuser, von denen es zur Hochzeit der Lepra Tausende in Europa gab, anders als die städtischen Spitäler nicht innerhalb der Stadtmauern, aber auch nicht völlig isoliert wie die späteren Pestlazarette, sondern immer an den großen Ausfallstraßen der Städte. So auch in Regensburg an der Straße nach Prüfening bzw. Nürnberg, sodass sich die Insassen ihren Lebensunterhalt neben den Stiftungen großherziger Gönner durch Betteln sichern konnten.

Die allgegenwärtige Lazarusklapper machte die anderen Menschen, die durch eine milde Gabe selbst ihr Seelenheil zu befördern suchten, auf die Aussätzigen aufmerksam, denen man gleichzeitig aber nicht zu nahe kommen wollte. Auch der mit Schellen besetzte sog. Klingelbeutel an einer langen Stange zum Sammeln von Almosen diente dem Abstandsgebot.

Insgesamt ist festzuhalten, dass das Regensburger Lazarusspital durch die reiche finanzielle Unterstützung des Heinrich Zandt gut versorgt war. An seinem Todestag (31. August) hatte er für alle Einwohner eine Messe und eine milde Gabe gestiftet. Auch nach ihm gab es im Mittelalter immer wieder laut den Quellen barmherzige Stiftungen: Z.B. stiftete Friedrich der Schöne im Jahr 1330 „10 Schock böhmischer Pfennige“, Dietrich von Zollern 1368 jährlich ein warmes Bad für die Bedürftigen. Diese nannte man übrigens „Lazarener“ oder „die Siechen auf der Steingrube vor der Stadt/vor St. Jakob“.

Seit jener Zeit wurden auf dem Gelände des heutigen Stadtparks an der Prüfeninger Straße Menschen begraben und der Lazarus-Friedhof ist damit die älteste mittelalterliche Begräbnisstätte Regensburgs außerhalb der Stadtmauern. Wie alle anderen Friedhöfe besaß auch St. Lazarus ein eigenes Ossarium zur Umbettung der Gebeine, da die Gräber nicht auf Dauer belegt wurden und man so eine größere Zahl Bestattungen auf geringerer Fläche unterbringen konnte.

Mit dem Erlöschen der Lepra als große Krankheitsbedrohung am Ende des Mittelalters änderte sich die Funktion des weiter so benannten Lazarus-Friedhofs. Die Gebäude und der dazugehörige Friedhof wurden stattdessen bei den immer wieder hereinbrechenden Epidemien als Pesthaus genutzt. Denn das Gelände lag nach wie vor den Toren der Stadt Regensburg und somit zumindest noch etwas isoliert. Zusätzlich übernahm mit der Reformation bzw. mit dem Ausbau der städtischen Armenfürsorge 1546 das neue städtische Almosenamt die Verwaltung des Siechenhauses.

Alte Grenzsteine im Schwaighauser Forst bei Lappersdorf zeigen heute noch die Lazarusklapper und den Klingelbeutel sowie die Buchstaben „A.A.“ für das städtische Almosenamt: Sie weisen auf den Grundbesitz dieser alten Stiftung auch außerhalb der Stadt hin, die im 16. Jh. die vermögendste ihrer Art der Stadt war.

Mit dem Einzug der Reformation in Regensburg wurde der Lazarus-Friedhof zum evangelischen Friedhof umgewidmet. Grund: Die katholische Geistlichkeit hatte verboten, Angehörige der neuen protestantischen Konfession, die es ab 1520 auch gab, auf ihren Friedhöfen bei den Kirchen innerhalb der Stadtmauern zu begraben. Aus der Not heraus begannen die Evangelischen also, ihre Verstorbenen auf dem kleinen Friedhof des Spitals St. Lazarus beizusetzen. Ab 1528 wurde der Friedhof dann offiziell von der evangelischen Bürgerschaft genutzt, eine Entwicklung, die sicher auch den Stellenwert der ersten Protestanten in der Stadtbevölkerung ausdrückt, die draußen bei den Siechen und Pesttoten begraben wurden.

Diese neue Sitte hängt aber vor allem mit dem neuen Verständnis von Gnade und Seelenheil zusammen, das mit der Reformation einzog: Denn während die nunmehr gut katholischen Bürger Regensburgs nach wie vor auf den Kirchhöfen der oberen bzw. unteren Stadt, also bei den Gotteshäusern von St. Emmeram bzw. am Domkirchhof begraben wurden, um durch die Nähe des Grabes zur Kirche und seinen Reliquien ihren Weg zum Seelenheil zu erleichtern, wurde diese Verbindung in der neuen evangelischen Konfession gelöst. Der Kirchhof wurde zum Gottesacker und durfte auch außerhalb der Stadtmauern liegen. Der Friedhof beim Siechenhaus St. Lazarus bot sich damit an, blieb aber nicht der einzige seiner Art, denn die gleiche Entwicklung vollzog sich offenbar auch beim Siechenhaus St. Niklas im Stadtosten, wo offenbar ebenfalls evangelische Bürger begraben wurden.

1532 – zehn Jahre bevor Regensburg offiziell protestantisch wurde – hatte die evangelische Gemeinde dann im Süden vor dem Peterstor bei der alten Kirche Weih St. Peter Grund für einen gänzlich neuen Friedhof erworben, weil die Gottesäcker an den alten Siechenhäusern wohl dennoch aus allen Nähten platzten. Hier entstand dann bis zu seiner Auflösung Ende des 19. Jahrhunderts der zentrale evangelische Bestattungsort für die Untere Stadt, während der Lazarusfriedhof im Westen, der 1563 dafür auch erweitert wurde, der der Bestattungsort für die protestantischen Bürger der Oberen Stadt wurde – analog den evangelischen Kirchengemeinden bei der Neupfarr- und der Dreieinigkeitskirche.

Siechenhaus St. Lazarus. Mit Kirchlein, Wohnhaus für den Geistlichen, Spital und Wirtschaftsgebäude sowie Friedhof. Federzeichnung von Hans Georg Bahre, 17. Jh, Foto: Bauer S. 822

Im 30-jährigen Krieg wurden dann alle Friedhöfe, die außerhalb der Stadtmauern lagen, durch die verschiedenen Belagerungen Regensburgs zerstört. Erst mit der der schwedischen Besatzung ab 1641 wurde der evangelische Lazarus-Friedhof wieder hergestellt und erneut erweitert. Auch der berühmte Regensburger Gesandten-Friedhof an der Dreieinigkeitskirche an der Gesandtenstraße entstand aus der Not geboren in jener Zeit der Belagerung.

Parallel gab aber immer noch auf dem Friedhof die alten Gebäude des Siechenhauses nebst kleiner Kirche St. Lazarus. 1613 hatte man an er Friedhofsmauer sogar noch ein eigenes Gebäude für Pestkranke errichtet, das Pesthaus. Auch dieses fiel allerdings wie die anderen Gebäude und die Kirche den kriegerischen Auseinandersetzungen des 30-jährigen Krieges zum Opfer. Danach gerieten die Gebäude in Vergessenheit und erst bei Grabungen 1828 wurden die Grundmauern der Kirche sowie mittelalterliche Grabsteine nachgewiesen, die allerdings heute verschollen sind.

Auch wenn das eigentliche Pesthaus bei St. Lazarus verschwand und während der Epidemie 1635 durch den Pfründ- und Pestinhof am Minoritenweg bzw. 1713 endgültig durch das Pestlazarett am Unteren Wöhrd ersetzt wurde, gab es auf dem Friedhof vermutlich in jenem Bereich ab 1649 einen eigenen, durch Bretter umzäunten Pestfriedhof, auf dem auch Selbstmörder und Menschen, die die Sterbesakramente verweigerten, von den städtischen Pestinmännern ohne geistliche Begleitung verscharrt wurden. Dieser Teil des Lazarus-Friedhofs musste vor allem während der Pestepidemie 1713/14 nochmals erweitert werden.

Das Gelände unter den Linden, heutiger Stadtpark in der Uraufnahme der Stadt Regensburg von 1812 (Quelle: www.regensburger-tagebuch.de)

Mit Ende der evangelischen Reichsstadt Regensburg und der neuen Zugehörigkeit Regensburgs zum katholischen Königreich Bayern änderte sich die Bestattungskultur auf dem alten Lazarus-Friedhof erneut. Denn 1812 wurde hier auch für die katholischen Verstorbenen der Pfarreien der Oberen Stadt nun ein eigener, freilich von den Protestanten getrennter Friedhof angelegt. Denn nach der neuen Friedhofsordnung der Dalberg-Zeit durften aus hygienischen Gründen keine Begräbnisse innerhalb der Stadt, also auf den alten Kirchhöfen mehr stattfinden.

Nach seiner Erweiterung 1828 grenzte dieser neue katholische Teil des Lazarusfriedhofs schließlich im Osten, nur durch eine Mauer getrennt, an dessen evangelischen Teil. Ehepartner aus gemischtkonfessionellen Ehen durften nicht gemeinsam beerdigt werden.  Noch 1895 beklagte sich der damalige Regensburger Bürgermeister Oskar von Stobäus in einem Brief darüber, dass sogar, dass „reiche Familien schon nur deshalb von hier weggezogen sind, wie bei gemischten Ehen die Gatten getrennt begraben wurden.“

1834 errichteten die Katholiken auf ihrem Friedhofsteil eine eigene Grabkapelle. Viele prominente Regensburger, u. a. Coelestin Steiglehner, der letzte Abt von St. Emmeram, wurden im 19. Jahrhundert hier begraben. Eine Kopie seines monumentalen Grabmals von 1819 steht heute als Symbol für die Übergangszeit zwischen Altem Reich und neuem Königreich im Museum für Bayerische Geschichte.

Bereits 1822 konnte nach langen Verhandlungen auf einem angrenzenden Gelände auch ein eigener Friedhof für die jüdische Bevölkerung Regensburgs mit Taharahaus zur Leichenwaschung und Wärterwohnung eingerichtet werden. Dieser wurde 1869 und nochmals 1926 erweitert. Probleme bereitete hier allerdings die Nähe zum westlich davon gelegenen Schießplatz, wegen der das Grundstück sonst eigentlich unverkäuflich gewesen wäre. Denn es lag genau hinter den Erdwällen, die als Kugelfang für den Schießplatz dienten. Deswegen wurden entgegen der üblichen jüdischen Sitte die der ersten Gräber auch in Nord-Süd-Richtung angelegt, damit die Grabsteine nicht von verirrten Kugeln getroffen wurden. Dies geschah aber trotzdem wohl öfter, und es sind auch Klagen des Friedhofswärters über Lärm und Geschosse überliefert, die durchs Fenster seiner Wohnung flogen und in einem Blumentopf stecken blieben!

Jüdischer Friedhof von 1822 mit Blick Richtung Schillerstraße. Links das Tahara-Haus. Foto: Lenz

Des Weiteren wurde 1831 auch ein für die damalige Zeit modernes Leichenhaus auf dem Friedhof errichtet. Diese Entwicklung resultiert daraus, dass zum einen aus hygienischen Gründen die Obrigkeit eine zu lange Aufbahrung von Verstorbenen egal welcher Konfession im eigenen Hause nicht mehr duldete. Zum anderen erwuchs Ende des 18. Jahrhunderts aus der naturwissenschaftlichen und medizinischen Beschäftigung mit dem menschlichen Sterben eine auch in gehobenen Schichten grassierende Angst vor dem Scheintod. Mit der Einrichtung von Leichenhäusern wollte man durch beobachtete Aufbahrung der Leichname die fälschliche Bestattung Lebender verhindern.

Das erste Regensburger Leichenhaus entstand freilich erst im Zusammenhang mit der Cholera-Epidemie von 1831, für die die Stadt große Vorkehrungen getroffen hatte, die dann aber wider Erwarten ausblieb. Das Leichenhaus mit Leichensaal, Sezierraum und Wärterstube lag zwischen dem katholischen und dem evangelischen Friedhofsteil und musste trotz anfänglicher Proteste von beiden Konfessionen genutzt werden. Heute beherbergt es den Stadtparkkindergarten.

Ehem. Leichenhaus des Lazarus-Friedhofs von 1831, heute Kindergarten im Stadtpark Prüfeninger Straße. Foto: Morsbach/Dirmeier, S. 27

Eine neue Veränderung für das – damals immer noch rein zur Aufgabe der Kirchengemeinden gehörende – Bestattungswesen, ergab sich erneut durch das weitere Wachstum der Stadt Regensburg ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Mit dem Anschluss der Stadt an das Eisenbahnnetz 1859 und dem nachfolgenden Bau des Bahnhofs sollte v.a. der zu dieser Zeit bereits restlos überfüllten Friedhof St. Peter verlegt werden.

Auch auf dem Lazarus-Friedhof konnte wegen Überfüllung kaum noch beerdigt werden und es gab keine Erweiterungsmöglichkeiten mehr. Bereits seit 1890 planten die evangelischen Gemeinden der Stadt deshalb einen neuen Bestattungsplatz, wiederum außerhalb der Stadt jenseits der neuen Bahngleise: den evangelischen Zentralfriedhof auf ehemaligem Thurn- und Taxis-Gelände am „Eisbuckel“. Er wurde 1898 eröffnet – bereits damals mit der Auflage der Stadt, dort auch Nicht- oder Andersgläubige zu begraben bzw. Ehegatten gemischtkonfessioneller Ehen. Dafür gab es seit 1902 einen separaten Bereich innerhalb des Friedhofs mit eigenen Statuten. Die Katholiken hatten bereits 1873 für die Kirchengemeinden der Unteren Stadt den Unteren Katholischen Friedhof errichtet, auf dem u. a. die Domkanoniker und Stiftskanoniker der Alten Kapelle begraben liegen. 1909 folgte der Obere Katholische Friedhof.

Aufnahmen vom Stadtpark – aus der Zeit vor 1940, vermutlich vom Dach der Halle der Kreisausstellung – Darauf noch gut zu sehen die ehemaligen Friedhofsmauern, die katholische Friedhofskapelle von 1834 und das Leichenhaus. Fotos: Slg Fritz Rehbach

Das alte Friedhofsgelände an der Prüfeninger Straße wurde 1898 geschlossen und ab den 1950er-Jahren endgültig zum Stadtpark umgewandelt. Viele Grabmale von Persönlichkeiten des 19. Jh. wurden um die Jahrhundertwende auf den neuen Evangelischen Zenralfriedhof transferiert: darunter die Monumente der Familien Thon-Dittmer, des Thurn-und-Taxis´schen Direktor Georg Friedrich von Müller, dem Gründer des Von-Müller-Gymnasiums, oder die Gräber des evangelischen Kirchenrats Gustav Adolf Wiener sowie der Familie Rehbach, den Gründern der Regensburger Bleistiftfabrik.

Bis heute stehen allerdings versteckt im Gebüsch an der Prüfeninger Straße zwischen alten Bäumen und dem Kindergarten in der ehemaligen Leichenhalle das alte Friedhofstor noch einige Grabsteine aus dem 19. Jahrhundert – wie das der des Regensburger Ehrenbürgers Carl Woldemar Neumann (1830-1888).

Neogotische Grabdenkmäler, das Leichenhaus von 1832 – heute Kindergarten – und das alte Tor zum evangelischen Lazarusfriedhof. Fotos: Lenz

Literatur

  • Bettina Bauer-Spandl, Der evangelische Zentralfriedhof in Regensburg, Regensburg 1998.
  • Artur Dirmeier, Peter Morsbach, Spitäler in Regensburg. Krankheit, Not und Alter im Spiegel der Fürsorgeeinrichtungen und Krankenhäuser einer Reichsstadt, Regensburg 1994
  • Arbeitskreis Regensburger Herbstsysmposium (Hg.), Tod in Regensburg. Kunst und Kultur um Sterben und Tod, Regensburg 2010

Autorin: Katharina Lenz M.A.